Mauro de Candia stellt sich vor
Papier raschelt. Gleißendes Licht fällt auf die weiße, geschwungene Wand, die mit geknüllten Papierbahnen bespannt zu sein scheint. Aus der verborgenen Öffnung mittendrin tritt eine Tänzerin ins Halbdunkel der Spielfläche. Mit weit ausholenden, schleifenden Schritten und großen, weichen Gesten bewegt sie sich voller Bedacht, den Raum erkundend und doch wie geistesabwesend, völlig in sich gekehrt. Andere folgen, spreizen die Finger, zeichnen mit den Fußspitzen kleine Muster auf den Boden. Zwei Tänzer verknoten sich miteinander, winden sich um- und übereinander. Fast alle Bewegungen geschehen wie in Zeitlupe zu einer bizarren Klangkulisse aus Geräuschen und kurzen Klaviermusikphrasen. Immer öfter berühren sich die lautlos Tanzenden. Schließlich bleibt eine allein auf der Bühne, ein Bündel aus geknülltem Papier wie ein Baby in den Armen haltend, betrachtend, wiegend.
Papier de Chair II (Papier der Haut) nennt Osnabrücks neuer Tanzchef Mauro de Candia seine reichlich zwanzigminütige abstrakte Choreografie zum Auftakt von Incanto (Verzauberung). Haut umhüllt den Körper wie ein Papier, trennt das Innen vom Außen. "In die Haut schreibt sich das Leben ein mit seinen Gefühlen und Erinnerungen", erläutert der Italiener die Grundidee seines 2008 entstandenen, nun mit der eigenen Truppe neu erarbeiteten Stücks. Es gelte, sich selbst zu erkunden, um ehrliche Bewegungen zu finden. Dieser Prozess ist für den Zuschauer schwer nachvollziehbar, wohl aber kommt die Yoga-artige Konzentration und Gelassenheit gut über.
Entertainment pur bietet de Candia nach der Pause. In Purple Fools porträtiert er schräge Typen aus der Theaterwelt. Grell geschminkt - mit lila Lippen und Fingernägeln - treten die fünf Tänzerinnen mit gepudertem Riesendutt in schwarzen Cocktailkleidern, die Männer mit ebenso staubendem Wuschelkopf und feinem Zwirn ins blau-schimmernde Rampenlicht. Je fünf hochlehnige, weißlackierte Stühle auf Rollen flankieren die Tanzfläche wie in einer Tanzschule. Ein kunterbuntes Potpourri aus "Schlagern" der klassischen Musik von Offenbachs kitschig-romantischer Barcarole bis zu Mozarts schrill-wütender Königin der Nacht-Arie, durchmischt mit Blue Rhumba, Schostakowitsch-Foxtrott und Bach-Air gibt der närrischen Tanzstunde Pepp, Witz und Drive. Die Möchte-Gern-Diven und -Beaus übertrumpfen einander an clowneskem Gehabe, Ulk, dick aufgetragenem Pathos und gespielt plumper Ungeschicklichkeit.
Mit Incanto bieten de Candia und seine Dance Company Theater Osnabrück dem animierten Publikum im kleinen emma-theater eine wahrlich zauberhafte erste Begegnung.