Koloraturkaskaden und Countertenöre
Kein Stoff für ein modernes Musiktheater, dieses durch und durch barocke Spektakel mit Göttern und Menschen? Bisher jedenfalls hatte kein Regisseur Fortune. Wie gewitzt-ironisch aber - denkt sich unsereins - ließe sich in unseren Helden-Zeiten der Untergang eines Antihelden inszenieren.
Am Werk waren im Rokokotheater Schwetzingen Stuttgarts junger Hauschoreograph Demis Volpi und die ebenfalls junge Ausstatterin Katharina Schlipf, die schon mehrere seiner Ballette ausgestattet hat und in Heidelberg immerhin die Aida. Für Volpi war es die erste Opernregie - die Wahl nicht außergewöhnlich, hatte doch Jommelli diese Oper in Zusammenarbeit mit dem legendären Ballettreformer Jean-Georges Noverre in Stuttgart geschrieben. Die Wiederbelebung 1986 in Stuttgart blieb ohne Folgen. Das hätte gern so bleiben können, zumal wenn man im Programmheft liest, gegen welche Schwierigkeiten das Regieteam kämpfte, wie übergroß der Respekt vor Jommellis Musik.
Sehr deutlich wird, wieso dieses musikalische Juwel des italienisch-französischen Barock es heute so schwer hat. Das Libretto von Mattia Verazi - inspiriert vom Text für Lullys Oper Phaeton, der wiederum auf die Metamorphosen des Ovid zurückgeht - sorgt für reichlich Verwirrung. Fetonte, Sohn der verwitweten Nubierkönigin Climene und des Sonnengottes Il Sole, soll und will seine Stiefschwester Libia zwar gern heiraten. Aber der ägyptische Nachbarkönig Epafo schielt auch auf die junge Schöne, und der äthiopische König Orcane wirbt um Climenes Gunst. Als beide Regenten Fetontes göttliche Herkunft in Zweifel stellen, enden Rankünen und Rivalitäten tragisch: Fetontes Versuch, auf Anraten der Mutter das Firmament im sonnengöttlichen Wagen zu bereisen, entfacht ein gigantisches Inferno.
Aber bei Volpi/Schlipf bleibt optisch alles wie seit langem gehabt hierzulande bei Barockopern-Inszenierungen. Abgesehen von Göttin Fortuna als Rauschgoldengel, dem Propheten Proteo mit weit abstehender Wuschelfrisur und Il Sole als scheußlich blendender Lampencluster gibt sich das Personal ganz cool in mehr oder weniger modernen Klamotten: Climene mimt ganz Karrierefrau im seidenen Hosenanzug und mit strenger Hochfrisur, Libia ist lieblich-biederes Heimchen, Fetonte weltabgewandter, hemdsärmeliger Bastler und Naturforscher. Gespielt wird in einem mit Holzkassetten verkleideten Raum voller schwarzer Ledermöbel - und schemenhafter Düsternis zwischen Himmel und Erde.
Bleibt die Musik. Dass ein Stadttheater sich kein Barock-Instrumentalensemble leisten kann, liegt auf der Hand. Das Philharmonische Orchester Heidelberg gab unter dem italienischen Gastdirigenten Felice Venanzoni sein Bestes. Aber dass nicht einmal für das Continuo Cembalo und Theorbe zu haben waren, tat weh. Hammerklavier und Cello klingen doch reichlich grob zu einem Gesang, der mit Trillern und Koloraturkaskaden gespickt und mit Countertenören besetzt ist - zumal in der Intimität eines derart kleinen Theaters, der auch Chor und Ballett (!) zum Opfer dieser neuen Fassung fielen.
Den fabelhaften sieben Sängern hätte man bessere Umstände gewünscht. Elisabeth Auerbach (Libia), Namwon Huh (Orcane) und Artem Krutko (Epafo) machten ihre Sache recht brav. Countertenor Antonio Giovannini (Fetonte) wurde seiner Rolle als Antiheld stimmlich nicht immer mühelos, gerecht. Rinnat Moriah glänzte (in der Höhe etwas schrill) als Meeresgöttin, Mutter Climenes und La Fortuna. Mit mythologischer, zauberhaft zarter Aura umgab sich der wunderbar schlank und geschmeidig intonierende Sopranist Philipp Mathmann (Proteo und Il Sole). Mit einer musikalischen und darstellerischen Bravourleistung entschädigte Jeanine De Bique als Climene für alles, was als nicht so gelungen empfunden wurde an diesem Premierenabend.