Übrigens …

Onkel Wanja im Deutsches SchauSpielHaus Hamburg

Starke Frauen in Hamburg

Karin Beier, seit der Spielzeit 2013/2014 Intendantin des Deutschen SchauSpielHauses Hamburg, führt bei Tschechows Onkel Wanja zum zweiten Mal selbst Regie und siedelt das Stück über das Scheitern einer russischen großbürgerlichen Patchwork-Familie auf einem schmalen, hellen Laufsteg quer über die Bühne; darunter liegen, so weit man sehen kann, Mengen von dunklem, matschigem Lehm, in dem schon beim Öffnen des Zuschauerraums ein Arbeiter mühsam umherstakt und offenbar nach Essbarem sucht. Symbol für die Diskrepanz zwischen den Abhängigen und den Besitzenden - die im Laufe des Spiels zunehmend auch den Boden als Spielfläche einnehmen (Bühne: Johannes Schütz). Tschechow hatte sein Stück Szenen aus dem Landleben untertitelt.

Der Steg dient als Garten für einen anfänglichen Smalltalk, wird dann mit allerlei Möbeln als Wohnraum bestückt, in dem die Konflikte zwischen der Gutsbesitzerin Sonja (sehr stark: Lina Beckmann) und ihrem Onkel Wanja (laut und polternd: Charly Hübner) ausgetragen werden; diese lassen die Möbel aus Frust später in hohem Bogen durch die Gegend fliegen. Wanja ist besessen vom Gedanken, dass sein Leben endgültig vorbei und die Gegenwart entsetzlich ist; und es ist dieses Gefühl von verpassten Gelegenheiten und trügerischen Illusionen, an denen letztlich der Familienclan zerbricht.

Karin Beier hat keine gänzlich neue Sicht auf das Stück vorgestellt, aber eine sehr kantige, vitale, stimmige, aber auch gegen den Strich gebürstete Inszenierung vorgelegt, hat in sehr unterhaltsamen wie nachdenklich machenden zwei Stunden Komik und Tragik geschickt gemischt und damit auch immer mal wieder Gelächter erzeugt; man macht lautstark Musik, tanzt, gackert wie die Hühner, versucht sich zu erschießen, lungert herum. Und schafft es dabei aber nicht, wirklich weiter zu kommen im Leben wie in der aktuellen Konfliktsituation. Wanja beklagt lautstark, sich für den früher von ihm hoch geschätzten Kunstprofessor Alexander (Oliver Nägele) aufgerieben und alle seine Bücher verschlungen zu haben, dessen Werk sich als völlig nutzlos herausgestellt hatte und der den Gutshof gegen den lautstarken Protest von Wanja verkaufen will. Sonja wiederum leidet an der unerwiderten Zuneigung zu Astrow (überzeugend: Paul Herwig), dem erfolglosen Arzt. Zentrale Figur ist auch Elena (ganz wunderbar: Anja Laïs), die todschicke (Kostüme: Greta Goiris) zweite junge Frau des Professors, bei der Wanja erfolglos zu landen versucht; auch Astrow bemüht sich um Elena. Immer dabei der verarmte Gutsbesitzer Ilja (Yorck Dippe), der alles schönzureden versucht. Anja hält es zum Schluss nicht mehr aus, sie will ganz weg. Ein spannendes, chaotisches Gemenge von Leidenschaften, Frust, Verachtung, Depression.

Einzig die mit einem Samowar wunderbar hin und her schlurfende ehemalige Kinderfrau Marina (rührend: Juliane Koren) stellt sich in dem ganzen Chaos als die einzig Vernünftige heraus; es bleibt zum Schluss ohnehin beim Alten, ausgiebiger Schneefall deckt die ganze Szene zu. Marina lakonisch: „Was vorbei ist, ist vorbei, und gegen Liebeskummer hilft Lindenblütentee“. Langer, jubelnder Applaus des vollen Hauses; leider zeigten sich das Regie- und Ausstattungsteam nur ein einziges Mal.

Das Schauspielerteam agiert äußerst engagiert und in perfekter harmonischer Eintracht. Dennoch: Unter den Akteuren gehören die Palmen des Abends Anja Laïs und Lina Beckmann für ihre sinnliche, melancholische und feine Darstellung ihrer schwierigen Figuren.