Betuliche Abgründe
„Die lateinischen Begriffe famulus und famula heißen ‚Diener‘ bzw. ‚Sklave‘ und ‚Dienerin‘ bzw. ‚Sklavin‘. Der davon abgeleitete lateinische Begriff familia bedeutet in der lateinischen Sprache ‚vielschichtig‘“, ist bei Wikipedia zum Begriff der Familie zu lesen. Vielschichtig ist auch die Familienfeier, die Anne Lenk nun im Deutschen Theater ausrichtet, denn unter der Oberfläche von betulichen Fotocollagen und turnenden Kindern brodelt es gewaltig.
Doch zunächst dürfen die Zuschauer noch an eine gelungene Party glauben, wenn sie vor dem Einlass hinter den Kammerspielen mit Sekt begrüßt werden; da ist es dann ganz intim, und manch einer mag daran glauben, selbst Teil der Feier zu sein, die der Toastmaster Bernd Moss mit einem Kanon eröffnet. Alle singen mit und ein paar Schauspieler haben sich unters Publikum gemischt und fallen kaum weiter auf, wenn sie mit einigen Gästen scherzen. Soweit, so originell die Einrichtung von Thomas Vinterbergs und Mogens Rukovs Theaterstück mit 16 Schauspielern Das Fest.
Es ist ein realistischer Blick, der kreiert werden soll; nicht der eines Zuschauers auf die Bühne, sondern einer, der die Dinge einfängt, wie sie eben stattfinden: spontan und unmittelbar. Dabei mangelt es leider öfter an jener Spontanität, die dem so angelegten Stück seine Glaubwürdigkeit geben soll, wenn die Sätze doch gestelzt und auswendig gelernt daherkommen.
Das Fest von Thomas Vinterberg überzeugte bereits als Film, der nur mit Handkameras und ohne Scheinwerfer gedreht wurde und so eine naturgetreue, realistische Darstellungsform anbietet.
Was auf der Leinwand überzeugen mag, funktioniert auch auf der Bühne? Vater Helge (gekonnt in den unterschiedlichen Schattierungen: Jörg Pose) und Sohn Christian (überzeugt auch in den abgründigen Momenten: Alexander Khuon) haben einen Konflikt, der tief geht und die Grenze zwischen Bühne und Publikum, Abstand und Nähe, Betroffenheit und Sich-Abwenden-Wollen sprengt: Helge habe seinen Sohn und eine Tochter, die vor kurzem Selbstmord beging, sexuell missbraucht.
Eine gar grauenvolle Geschichte, die so gar nicht zu der betulichen Party passt, die einen etwas ratlos zurück lässt.