Hätte er doch nicht geschrieben
So große Gefühle, so viele Pflichten. Arme Charlotte, die so lieb die kleinen Geschwister versorgt und mit einem gewissen Albert in die Bürgerlichkeit flüchtet. Das ist der Codex, der im ausgehenden 18. Jahrhundert vorherrscht. Doch es stürmt und drängt in ihrem Herzen, und Goethe hat die Problematik in seinem Briefroman Werther thematisiert.
Eine dankbare Vorlage für den Komponisten Jules Massenet, dessen Oper Werther ein Jahrhundert später das Publikum eroberte und immer noch das heutige Repertoire bereichert. Auch eine dankbare Aufgabe für das Philharmonische Orchester Heidelberg, dem Mino Marani am Pult ordentlich Feuer macht, auf dass eine griffige Plakatmalerei entstünde. Das passt bis auf den Eindruck, dass Marani in manchen sentimentalen Lyrismen den Orchesterklang noch mehr hätte zurücknehmen dürfen.
Regisseur Jan Eßinger fokussiert seine Inszenierung auf die seelischen Zwiespälte seiner Figuren. Auch durch die Guckkastenbühne, die unsere Liebenden getrennt Briefe zerreißen und vor sich hin schmachten lässt. Eßinger zeigt aber, auch durch die Kostümierung Werthers als Schuljunge, wie unreif die jungen Liebenden eigentlich sind. Da scheint die Katastrophe unausweichlich.
So weit, so einsichtig, und das Publikum feierte seine Helden. Allen voran die beiden Hauptfiguren. Jaesung Kim bringt als Werther einen stabilen, partiell attraktiven jugendlichen Heldentenor ein, Charlotte findet in der Mezzo-Sopranistin Marzia Marzo eine Interpretin, die jugendliche Anmut, zumal im Finale mit Unschuldskleidchen kostümiert, und eine facettenreiche Stimme in schönem Farbspektrum verbindet. Als Gatte Albert bringt Ipca Ramanovic seinen gut geführten Bariton ein. In weiteren gut besetzten Partien: Theresa Immerz (Sophie), Wilfried Staber (Amtmann), Winfrid Mikus (Schmidt), James Homann (Johann), Adrien Mechler (Brühlmann) und Jana Krauße (Kätchen). Agil und hell gestimmt der Kinder- und Jugendchor als weiterer Pluspunkt dieser Produktion
Die Premiere traf auf begeisterten Zuspruch. Ja, hätte doch dieser überschwängliche Jüngling keine Briefe geschrieben, dann wäre Charlotte irgendwann eine glückliche Oma oder Uroma geworden und wir hätten ein süffige Oper weniger.