Zum siebzigsten Mal die Ruhrfestspiele: Mare Nostrum

Mare Nostrum - Unser Meer – so nannten die Römer das Mittelmeer. Es ist so etwas wie das Fruchtwasser, aus dem sich europäische Kultur nährte und erwuchs. Was ist daraus geworden? Ist es immer noch „Nostrum“? Oder eine Grenze für die, die an den falschen, den südlichen Gestaden des Mittelmeers zuhause sind? 2016 ist es Motto der Jubiläums-„Ruhrfestspiele“, die ihr siebzigjähriges Jubiläum feiern. Gibt`s darüber hinaus etwas zu „feiern“? Grund genug, das Motto der diesjährigen mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Am 1. Mai startet die bis zum 19. Juni währende Schau, die sich der Frage stellt, was Unser Meer zu einer Wiege gesamteuropäischer Kultur werden ließ. Ob am Ende der „Spiele“ das Fragezeichen verschwunden oder die Probleme noch drängender geworden sind? Vielleicht gibt es ja Antworten, wenn die eingeladenen Autoren und Präsentationen aus Ägypten und Algerien, Italien und Spanien, aus Israel, der Türkei und Zypern ihre Visitenkarte vorgelegt haben. Homer ist dabei, Aischylos kündet von klassischen Zeiten, Visconti-Arbeiten und Pasolini-Tabubrüche tauchen in modernen Bühnenadaptionen auf. Zeitgenössische Dramatiker gehen im Mittelmeer-Raum auf die Suche nach Hoffnungsfunken im Krisenmeer. Europa kriegt sein Fett ab in der Dramatisierung von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“, einer ebenso bitteren wie provokanten Abrechnung mit Frankreichs versagender Elite. Dabei steht Frankreich zweifelsfrei für ganz Europa – auf der Kippe zur Selbstzerstörung. Recklinghausens Grüner Hügel ist, dank des Mythos „Kunst gegen Kohle“, Inbegriff wagemutiger Zukunftshoffnungen von 1947 – Hamburger Theater bekamen Kohle aus dem Pott, der Pott dafür Theaterkunst aus Hamburg zu bewundern – kein schlechter Ort, die Bedeutung des Mare Nostrum zu erkunden. Siebzehn Uraufführungen lassen hoffen. Und die 24 Ensembles aus 11 Ländern, die im „Fringe Festival“, dem „Schrägen Festival“ (17. Mai – 11. Juni), für Furore sorgen wollen, stehen für Offenheit und Neugier. Ob am Abend des 19. Juni Zähneklappern vorherrscht oder Hoffnungsstreifen am Horizont auszumachen sind, ist die große Frage. - Günther Hennecke