Roberto Ciullis Ruhrtheater-Truppe steuert gegen das Streaming

Digital“ will man sein in Mülheim, „aber nicht auf Linie“. Was doppeldeutig klingt, dürfte auch so gemeint sein. Schließlich meldet sich damit Roberto Ciullis „Theater an der Ruhr“ in der Wirklichkeit dieser Tage zurück. Dazu gehört ein eigener „Online-Spielplan“, mit dem sich das rührige Theater bewusst „gegen das Streamen von Theateraufführungen entschieden“ hat. Mit der unschwer nachvollziehbaren Begründung, dass „abgefilmtes Theater sein Wesen verliert“.

In der „theaterlosen Zeit“, so das Team um Ciulli und seinen Dramaturgen Helmut Schäfer weiter, soll „das Publikum eine Alternative zur medialen Rastlosigkeit“ erleben. Mit „unterschiedlichen Formaten, eigens für den digitalen Raum entwickelt“, will man an der Ruhr punkten. In der Hoffnung, mit „Erfahrungen zu interessanten Formen“ zu finden.

Ab sofort sind, zunächst bis zum 14. Juni, acht solcher „Abende“ über den Youtoube-Kanal „Theater an der Ruhr“ bei dem Versuch zu verfolgen, Grundsituationen des Theaters sichtbar zu machen.

So wird man in „Die Konferenz der Dinge“ eine „Video-Konferenz“ des äußerst erfolgreichen Theaterstücks „Boat Memory“ die leere Bühne, Bühnenbildteile im Lager, Masken und Requisiten sehen. Kurz: eine Inszenierung wird in ihre Details zerlegt. Ciulli und sein Team wollen versuchen, „über die Magie und Poesie der Räume und Dinge zu erzählen“, die in völlig neuer Umgebung zu erleben sind.

Geradezu aktuell ist das „Masken“-Video, eine „Geschichte über Masken“ (jeden Sonntag bis 14. Juni). Sie erzählt ebenfalls von magischen Momenten. Geschichte und Gegenwart laufen hier zusammen, wenn es um Theatermasken und solche der Schamanen, um Karnevals-, Toten- und Protest-Masken geht. Dagegen spielt die Corona-Maske zwar derzeit eine gesundheitspolitisch wichtige Rolle. Sie schützt vor der Außenwelt, bleibt damit aber weit hinter der Vielfalt der Masken-Welt zurück. Masken-Experten öffnen den Blick in alle möglichen Bereiche der Maskengeschichte.

Den Bezug zur Aktualität des Mund-Nasen-Schutzes von heute stellen übrigens die Mitarbeiter aus allen Bereichen des „Theaters an der Ruhr“ her, indem sie an die 50.000 Masken ehrenamtlich und als Zeichen der Solidarität herstellen. Im realen Leben.

Der fremde Blick“ (jeden Samstag bis 6. Juni) schließlich schickt den Hausherrn Roberto Ciulli durch sein eigenes Theater. Der Filmemacher Peter Wedel wird dessen einsamen Gang durchs ganze Haus verfolgen, ihn umkreisen und in den zum größten Teil der Zeit verwaisten Räumen deren Geschichten erzählen.

Die Kinder unseres Viertels“ (jeden Mittwoch bis 10. Juni), lässt Ensemble-Mitglied Rupert Seidl aufleben. Er liest und interpretiert szenisch den gleichnamigen Roman des ägyptischen Nobelpreisträgers von 1988, Nagib Mahfuz, bei Fahrten durch bestimmte Viertel des Ruhrgebiets.

Zeit für die Zukunft“ wird am 22. und 23. Juni erforscht und konzertant begleitet. Jeden Donnerstag kommt „Das Decameron“ als „digitales Live-Theater“ auf den Bildschirm. Künstlerinnen und Künstler begegnen sich dabei in Quarantäne, weil das Virus grenzenlos ist - und uns unsere Grenzen aufzeigt. - Günther Hennecke

Foto: A. Köhring