Das Phänomen Stimme
Frau von der Weth, ohne jede Vorwarnung, ohne erkennbaren Grund passierte Ihnen, wovor jeder Sänger und jede Sängerin unglaubliche Angst hat: Ihre Stimme versagte.
Es begann in Zürich, wo ich für die Festwochen eine moderne Oper einzustudieren hatte. Noch in den Tagen zuvor hatte ich an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf als Norma auf der Bühne gestanden. Als ich morgens in meiner Züricher Theaterwohnung aufwachte, bekam ich keinen Ton heraus! Ich bin gleich zur HNO-Ärztin gegangen. Die konnte aber nur feststellen: Meine Stimmbänder seien perfekt in Ordnung! Ich habe dann die Proben fortgesetzt, was nicht schlimm war. Denn zu diesem Zeitpunkt ging es „nur“ darum, die Partitur fotografisch zu lernen, die Töne und den Rhythmus zu verinnerlichen – dafür musste ich nicht singen. Vier Wochen lang. Die komplizierte Partitur musste ja in meinen Kopf hinein. Und ausrechnet in der Zeit habe ich ein Ödem entwickelt - ohne zu singen! Das ist eine ganz merkwürdige Geschichte, die ich selbst nicht glauben würde, hätte ich sie nicht erlebt.
Jetzt würde mich natürlich sehr interessieren, welchen Grund das Versagen der Stimme womöglich hatte.
Man kann es sich vielleicht so erklären: Zum einen könnte das stimmliche Versagen durch meine seelische Anspannung ausgelöst worden sein. In diesem Fall zieht der Körper die Notbremse, um das Individuum nicht noch weiteren Strapazen auszusetzen. Wobei ich sagen muss, dass Neue Musik auch Spaß machen kann. So hatte und habe ich immer wieder Berührungspunkte mit Neuer Musik. Als ich im zum Beispiel mit meiner Tochter im siebten Monat schwanger war, habe ich noch Luigi Nono gesungen! Das war für mich völlig in Ordnung. Das Züricher Unterfangen bedeutete jedoch für mich Stress und Druck. Die Musik war überhaupt nicht für meine Stimme geschrieben. In mir kam das Gefühl auf: Diese Partie ist nicht die richtige für mich. Ich habe zwar eine ziemlich wendige Stimme – aber wendig im Sinne von Belcanto.
Eine zweite Erklärung wäre diese: Auch beim stummen Einstudieren bewegt man innerlich die Kehlmuskulatur mit... So ist man auch physisch bei einem technisch heiklen Stück in einer ständigen Verspannung.
...ohne dass man Klang produziert?
Ja, das ist ein Fakt. Das geschieht intuitiv. Ohne dass man dies merkt. Das ist zwar ein Extremfall, aber es kann sein, dass beide Faktoren bei mir ineinander gegriffen haben. Lange Zeit bin ich im Dunkeln getappt, ohne zu wissen, was mir wirklich helfen könnte. Zu dieser Zeit haben ganz viele Leute an mir herumgezerrt, Korrepetitoren, musikalische Begleiter, meine ehemalige Gesangslehrerin...schließlich gab es verfrühte Versuche, wieder aufzutreten, die Lulu in Berlin zum Beispiel. Viele Menschen haben auf mich eingeredet... leider wird man dann so unkritisch und ist so durchlässig für alles, was an einen herangetragen wird.
Wie sind Sie letztendlich weitergekommen?
Schließlich bin ich meiner Intuition gefolgt und habe mir gesagt: Du hast einen Getriebeschaden und musst Deine Stimmbänder wieder glatt bekommen. Dafür brauchst du eine Logopädin, die dir diesen Stein abträgt! Und du brauchst keinen Gesangslehrer, Du weißt schließlich längst, wie Singen geht!
Wie kommt man denn als Sängerin auf Logopädie?
Schon seit 19 Jahren beschäftige ich mich mit Stimmphysiologie. Ursprünglich wollte ich Medizin studieren. Deshalb habe mich schon früh mit Naturwissenschaften auseinandergesetzt. Und ich wollte schon immer das Geheimnis des Singens ergründen. Dabei waren mir die Erkenntnisse von Frederick Husler und Yvonne Rodd-Marling über das Singen sehr hilfreich, denen ich um 1993 herum begegnet war. Dieses Buch gab mir schon mal wertvolle Anregungen für eine elastische und unverkrampfte Gesangstechnik. Danach habe ich sämtliche Fachbücher für Phoniatrie verschlungen und immer wieder Stimmärzte interviewt.
Auf die Idee, Logopädie in Anspruch zu nehmen, kam ich, als ich mich auf meine stimmtechnischen Wurzeln besann, nämlich die der Wissenschaft. Was liegt da näher als jemanden zu konsultieren, der eng mit Stimmärzten zusammenarbeitet? Schließlich hat die Logopädie mir wieder den Zugang zu meinem Körper geöffnet und mir damit meine frühere Gesangstechnik neu erschlossen. Das Ödem hat sich rasch zurückgebildet; die Kräftigungsübungen für die Stimmlippen haben es verschwinden lassen. Außerdem lernt man durch Sprechübungen, aber auch durch Imaginationen, sehr intensiv in sich hinein zu spüren. Man achtet zum Beispiel darauf, wie die Sinneszellen, die am unteren Rand der Stimmlippen sitzen, den ankommenden Luftstrom von unten spüren...so wie man die Sitzfläche unter dem eigenen Fleisch spürt...das ist doch was Schönes: Das eigene Wahrnehmen, das Spüren – dafür hat mich meine Logopädin wieder sensibilisiert und mir damit ganz viele Türen geöffnet - und ich habe ihr Türen in Sachen Gesangstechnik geöffnet.
Entscheidende Hilfe aber bekamen Sie dann mittels eines Trainings, das sich „hypnosystemische Kommunikation“ nennt.
Das ist genau das, was meine Stimme neben der Logopädie wieder funktionstüchtig gemacht hat, so dass sie wieder fließen konnte. Durch das Training wurden meine seelischen Blockaden aufgelöst. Ich hatte ja zwischendurch oft das Gefühl, unter einer Käseglocke zu leben – und mit der Welt, die mich umgibt, nichts mehr zu tun zu haben. In Norddeutschland habe ich schließlich einen klugen Menschen konsultiert, der zu mir sagte: „Denken Sie nicht, Sie gehen hier in Trance und danach sind Sie geheilt. Glauben sie nicht, hier nichts tun zu müssen. Sie müssen total aktiv sein.“ In diesen zwei Wochen habe ich eine Menge aufgearbeitet. Das Ganze nannte sich Alltags-Coaching, in das ich aktiv eingebunden wurde.
In diesem Zusammenhang vielleicht noch mal zurück: Meine Krise wurde wahrscheinlich dadurch ausgelöst, dass ich nicht fähig war, mich abzugrenzen. Da hat mein Körper unbewusst „die Schotten dicht gemacht“. Nach zwei Wochen Coaching bemerkte ich schon gravierende Veränderungen. Kurz darauf sang ich unserem Operndirektor in Düsseldorf vor, worauf der mich als Cleopatra besetzte und meinte, er hätte mich schon lange nicht mehr in dieser Qualität gehört. Das Training bringt in der Regel schnelle Erfolge. Der Ansatz dabei ist sehr pragmatisch und vor allem sehr nüchtern im positiven Sinne.
Seit 2010 sind Sie selbst als Coach tätig und haben in Wuppertal das Institut für Stimmbildung gegründet.
Richtig. Meine Arbeit besteht darin, singende wie sprechende Menschen zu unterstützen, ihr stimmliches Potenzial auszuschöpfen. Wichtiger Punkt meiner Arbeit ist auch das Thema Lampenfieber. Deswegen kommen auch Instrumentalisten zu mir, die Angst vor Konzerten oder Probespielen haben.
Bei Lampenfieber und Blockaden helfe ich Menschen durch die hypnosystemische Kommunikation. Damit habe ich auch meine eigene Stimme wiedergefunden. Dieses Training ist lösungsorientiert und bringt in der Regel schnelle Resultate. Der Klient lernt, seine eigenen Kraftquellen zu erschließen und so selbst sein Problem zu lösen. Zum Training gehören hin und wieder auch leichte Trancen, die wir schon aus unserem Alltag kennen, wenn wir zum Beispiel in ein Buch versunken sind. Natürlich gibt es Klienten, für die auch leichte Trancen nicht geeignet sind. Man muss erst deren Lebensumstände erfragen, genau prüfen, was für sie erträglich und bekömmlich ist. Denn nicht alles ist für alle gleich, die Unterschiede können gravierend sein. Das bedeutet auch, dass man als Coach ständig Supervisionen macht, also ständig im Austausch mit anderen Fachleuten ist. Deshalb arbeite ich eng mit einer Psychoanalytikerin zusammen, weil ich dadurch noch andere Lösungsmöglichkeiten entdecke.
Was können Sie aus Ihrer Erfahrung heraus sagen: Was passiert mit den Leuten heute?
Die meisten Menschen sind stark leistungsorientiert. Sie definieren sich über ihren Erfolg. Wir leben in einer normierten Gesellschaft, was ich oft befremdlich finde. Meine Klienten sind zum einen Instrumentalisten und Sänger, die mit Lampenfieber und Blockaden zu kämpfen haben. Andere Klienten bekleiden Führungspositionen; sie arbeiten in Firmen und haben nicht unbedingt etwas mit Musik zu tun; dabei begegne ich Menschen, die kaum ein Gefühl für Ihren Körper haben, auch Frauen - gerade Frauen -, die gar nicht wissen, wie sie ihre Stimme einsetzen, wie sie ihren Körper einsetzen sollen, um Präsentationen zu halten... . Wir arbeiten dezidiert an der Sprache, an der Körperhaltung und Atmung. Ich achte dabei auf eine entspannte Kehlstellung und zeige, wie Vokale optimal gebildet werden. Man kann sagen, meine Arbeit ist eine Erweiterung zur Logopädie. Ein Schwerpunkt der Logopädie ist zwar schon die Stimme - aber nicht in dieser Feinheit. Ich gehe wirklich ganz dezidiert auf die Stimme ein und arbeite deshalb sehr an der auditiven und sensomotorischen Integration. Hinzu kommen Erkenntnisse aus der Wissenschaft im Hinblick auf das, was wir zum Beispiel über die Evolution wissen: Wie bewegen sich Wale fort, welche Orientierung haben sie im Raum, was bedeutet das Echolot - inwieweit können wir Menschen uns dieses Wissen darüber zu Nutze machen für die Stimmschönheit, für die Brillanz, die Strahlkraft der Singstimme, aber auch für die der Sprechstimme? Daher stehe ich in ständigem Austausch mit einem Neurobiologen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Unsere gemeinsamen Erkenntnisse werden stets in das Training integriert.
Was macht der Gesang?
Im Augenblick arbeite ich an John Cages Song Book und an der Sequenza von Berio im Rahmen der Konzerte für das Cage-Jahr, die hier in der Kunstakademie als Kooperation von Tonhalle Düsseldorf und Kunstakademie Düsseldorf laufen werden. Ein paar Liederabende, auch zeitgenössische Musik. Lust auf die Opernbühne habe ich schon, muss aber sehen, wie ich das alles unter einen Hut bekomme... Wenn ich mir hier und jetzt eine Opernrolle aussuchen könnte: Das wäre Richard Strauss' Daphne, die ich schon in Covent Garden gesungen habe...
(Das Interview führte Christoph Schulte im Walde)