Kinder und Jugendliche brauchen uns und unser Theater
Bernd Plöger ist freiberuflicher Regisseur mit Inszenierungen unter anderem in Hamburg, Stendal, Köln und seiner Heimatstadt Düsseldorf. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften und der Tätigkeit als Kulturmanager arbeitete er am Rheinischen Landestheater Neuss als Regieassistent, Theaterpädagoge und Dramaturg. Neben zahlreichen Ur- und Erstaufführungen unter anderem von kanadischen Autoren, die er auch übersetzt, inszeniert er Stücke auch für junge Zuschauer.
Sie haben sich einen Namen gemacht mit der Inszenierung von Kinder- und Jugendstücken. Inwiefern kommt dieser Sparte des Theaters eine besondere Bedeutung zu?
Kinder und Jugendliche stehen von Anfang an im Zentrum meiner Theaterarbeit. Als jugendlicher Spieler habe ich selber die beeindruckende Erfahrung gemacht, mit eigenen Themen und Stücken vor Gleichaltrigen auf der Bühne zu stehen. So habe ich im „Jungen Ensemble 87“ die Uraufführung von Morton Rhues Die Welle gemeinsam erarbeitet und gespielt. Als Regisseur, Theaterpädagoge und Dramaturg gestalte ich heute Junges Schauspiel mit klarem Blick auf die Adressaten. Die Zuschauer sollen das Gesehene verstehen können und sich weiter damit beschäftigen. Ich möchte sie in ihren Sichtweisen und ihrer Offenheit für ästhetisch andere Erzählformen herausfordern und fördern. Ich glaube, das ist mir z.B. in meiner aktuellen Inszenierung von Michael Müllers Morgen Alaska (Das Schauspielhaus, Hamburg) auch durch das Setting gelungen. Die Jugendlichen sitzen mitten im Geschehen. Das Stück spielt in einem Linienbus und wird auch dort aufgeführt. Die Darsteller agieren zwischen den Sitzen, im Gang und um den Bus herum.
Kinder und Jugendliche brauchen uns und unser Theater. Wir bieten ihnen Vorschläge an und zeigen Wege. Theater kann ihnen Fragen stellen, aber keine Antworten geben. Möglichkeiten aufzeigen aber nicht diktieren. Kinder und Jugendliche sind nicht das „Publikum von morgen“. Sie leben heute und wollen heute angesprochen werden. Sie wollen verstehen. Wollen sich vergleichen. Konzepte und Lebensentwürfe kennen lernen. Dabei wollen sie sich amüsieren, wollen phantasievoll unterhalten werden und mitfiebern können. Im Stendaler Theater der Altmark bringt gerade Johnny Hübner greift ein Grundschulkinder zum Lachen. Hier schlüpft der Schauspieler in 45 Minuten in ein gutes Dutzend verschiedener Rollen. Die Zuschauer halten den Atem an wenn Olga an Bord des Piratenschiffes um ihr Leben kämpft und machen begeistert mit, wenn sie mithilfe eines Zauberrituals gerettet werden soll. Das macht mir wiederum persönlich viel Spaß, das mitzuerleben.
Die Arbeit im Kinder- und Jugendbereich ist einer Ihrer Schwerpunkte. Bitte konkretisieren Sie Ihr aktuelles Projekt (Der Verbrecher, Theater im Keller, Köln, Premiere am 30. 3. 2012) in Bezug auf die Aktualität des Themas!
In meiner Kölner Inszenierung von Schillers Der Verbrecher verknüpfe ich klassisches Schauspiel mit dokumentarischen Inhalten. Collagenartig montiere ich den szenisch gespielten Monolog mit Expertenmeinungen zu Fragen nach Ehre, Schuld, Sühne und Bestrafung. Wir haben Gefängnisseelsorger, Justizvollzugsbeamte, Gutachter, Rechtsanwälte und Kriminologen interviewt und ihre Aussagen liefern einen sachlichen Blick auf die Themen des Stückes. Sie erweitern die klassische Vorlage um die heutige Perspektive.
Im Produktionsteam plöger|winkler|becker inszeniere ich u.a. für das FFT Düsseldorf im fein abgestimmten Zusammenspiel verschiedener Medien und Kunstgattungen Produktionen, in denen immer wieder auch Alltagsexperten auf der Bühne stehen. Ob Stadtteilbewohner oder Senioren – ihre Geschichten zu bewahren und zu präsentieren steht dabei immer im Zentrum meiner und unserer Arbeit.
Als nächstes steht wieder Kindertheater auf dem Programm: Im September hat Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor Premiere, das dritte Kinderstück von Martin Baltscheit, das wir im FFT Düsseldorf herausbringen.
(Das Interview für theater:pur führte Antje van Bürck)
Biografische Notizen:
seit 2005 Freiberuflicher Regisseur und Theaterpädagoge
2004 bis 2005 Regisseur, Dramaturg und Theaterpädagoge „Das Rheinische Landestheater“
seit 1993 Arbeit als Regisseur
seit 1992 Theaterpädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
1988 bis 1994 Studium der Anglistik; Germanistik; Theater- Film- und Fernsehwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Ruhruniversität Bochum
ab 1986 Theaterarbeit als Schauspieler
1967 in Düsseldorf geboren