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"In ganz kleinen Schritten können wir vielleicht doch was verbessern..."

Wir Theaterleute vertreten eine alte Humanität, eine alte Menschenidee. In der gibt es Raum für Spiritualität, für Geheimnisse, für Religion und Utopien." So der Regisseur und Intendant des international angesehenen Theaters Mülheim an der Ruhr, Roberto Ciulli. Der kleine Mann mit den funkelnden Augen, den langen, weiß-grauen Haaren und der unendlich großen Liebe zur Theaterkunst feiert am 1. April seinen achtzigsten Geburtstag. Alle Mitarbeiter des Theaters werden diesen runden Geburtstag mit ihrem Prinzipal im Theater auf dem Raffelberg der Revierstadt feiern.

„Natürlich glaube ich nicht, dass man mit Theater die Welt völlig verändern kann. Aber in ganz kleinen Schritten können wir vielleicht doch was verbessern," sagt der in Mailand geborene Ciulli. Der Sohn eines Fabrikanten hatte seine ersten Theatererfahrungen nach seinem Philosophiestudium in einem von ihm gegründeten Zelttheater mit dem Titel „Il Globo". Er knüpfte schon damals an Shakespeare an, dessen Stücke hunderte Jahre zuvor im Londoner Globe-Theater aufgeführt wurden. „Shakespeares Zeit war die Zeit der ersten großen Weltumsegler Magellan und Drake. Die brachten von ihren Reisen völlig neue Erkenntnisse über die Welt und über die Erde mit", meint Ciulli, der auch immer noch selbst als Schauspieler mit auf der Bühne steht.

Auch mit achtzig Jahren ist er ein fesselnder Darsteller und ein Regisseur, der es versteht, ungemein sinnliches Theater zu machen. Er lässt es sich zudem nicht nehmen, an Premierenabenden die Tickets zu entwerten. „Ich reiße die Karten ab. Das mag ich. Ich schaue die Leute dabei an und sehe ihr Gesicht vor und nach der Vorstellung", schmunzelt Ciulli, der vor einigen Monaten die Reisen ins Theater ins Leben gerufen hat. Dabei erzählt er beim Gang durch das vor 33 Jahren gegründete Theater über das Reisen, über Theaterreisen und über die Reisen, die auch die Zuschauer beim Erleben der Stücke im Theater machen können, „wenn sie sich denn darauf einlassen."

1965 kam Ciulli nach Deutschland. „Wieder eine Reise", erinnert er sich. Zunächst war er am Theater in Göttingen, dann in Köln, später in Düsseldorf und in anderen großen Häusern bundesweit in unterschiedlichsten Funktionen. Diese Jahre waren wichtig für ihn, zeigten ihm aber auch, dass er nicht für immer in der Tretmühle des althergebrachten Theaters mit seinen Hierarchien, Finanzproblemen und Eifersüchteleien bleiben wollte. 1981 war es, als er mit seinem Dramaturgen Helmut Schäfer und dem Bühnenbildner Graf-Edzard Habben das Theater an der Ruhr gründete.

„Nicht das Theater war da, sondern wir waren da und schufen das Theater nach unseren Vorstellungen", erinnert sich Ciulli. Und alle drei Gründerväter der Bühne sind bis heute als künstlerisches Trio dabei. Und wer einmal eine Inszenierung in Mülheim gesehen hat, der spürt diese „andere Art von Theater", in dem sich jeder für alles mitverantwortlich fühlt. Die Bühne im ehemaligen Solbad am Raffelberg, das auch mal Hotel und Tanzhaus war, ist gerade wegen dieser Nutzungs-Geschichte für Ciulli einzigartig. Der zierliche Theatermann plädiert auch nach über drei Jahrzehnten für’s Theater als Ort der multikulturellen Begegnung. „Theater war immer schon auf Reisen", erzählt er und erinnert etwa an das „fahrende Volk", dem man über Jahrhunderte verwehrte, innerhalb von Stadtmauern zu leben.

Einmalig am Theater an der Ruhr ist auch das Repertoire. Es gibt kein Theater, wo man Aufführungen erleben kann, die 30 Jahre alt sind wie etwa Gott, Kaspar, die Dreigroschenoper oder Der kleine Prinz, der auch schon gut fünfzehn Jahre auf dem Spielplan steht und in dem Ciulli noch zwei Tage vor seinem Geburtstag gemeinsam mit der Schauspielerin Maria Neumann auf der Bühne spielt. Einzigartig ist auch die kontinuierliche internationale Arbeit des Theaters in Mülheim. Mit zahlreichen Auftritten in aller Welt und mit internationalen Gästen aus über dreißig Ländern steht das Mülheimer Theater für den Dialog zwischen den Kulturen.

Ciulli sucht und fördert die multikulturelle Begegnung, gastiert regelmäßig mit seinem Ensemble im Ausland und holt im Gegenzug ausländische Theatergruppen nach Mülheim. 1987 war sein Ensemble das erste, das in der Türkei spielte, 1999 startete der Kulturaustausch mit dem Iran. 2002 gastierte Ciullis Ensemble im Irak. Seidenstraße heißt ein Projekt, Klanglandschaft ein anderes, mit denen Schauspieltruppen aus diesen fernen afrikanischen, orientalischen oder asiatischen Ländern im Gegenzug bis heute auch in Mülheim ihr Publikum finden. Dabei wird dann natürlich nicht deutsch oder englisch gesprochen. „Wichtig ist die Übersetzung im Kopf des Zuschauers, der so auch selbst zum Mitautor und Mitgestalter des Bühnenabends wird", sagt Ciulli.

Der Mann, der über Jahrzehnte europäische Theatergeschichte schrieb und schreibt, ist für sein politisches und interkulturelles Engagement vielfach mit Auszeichnungen bedacht worden. Zuletzt erhielt er im November vergangenen Jahres den mit 25.000 Euro dotierten Staatspreis des Landes NRW als „Brückenbauer zwischen den Kulturen", der sich „immer auch für die Minderheiten in unserer Gesellschaft stark gemacht" habe, wie NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei der Preisvergabe sagte. – Andreas Rehnolt

Foto: H. Hoffmann