Gerhardt Haag - Abschied vom Theater im Bauturm nach einundzwanzig Jahren

Wenn der Vorsitzende des Trägervereins eines kleinen Theaters bei der Verabschiedung des langjährigen Leiters die Tränen nicht zurückhalten kann, ist das sicher keine einstudierte Bühnenshow, sondern pure Emotion. Und die musste bzw. durfte auch sein, als Gerhardt Haag als Schauspieler und Leiter des Kölner Bauturmtheaters nach einundzwanzig Jahren in die zweite Reihe zurücktrat. Ausgerechnet jetzt, wo doch alles so gut läuft, mag sich mancher fragen. Hat er nicht die kleine Bühne in die erste Kölner Reihe befördert, ihr vielfältigen Theatergeist eingehaucht, durch zahlreiche Engpässe und schwierige Klippen bugsiert zur großen Freude der zahlreichen Freunde und des großen Publikums?

Nach einem Begrüßungsständchen der monatlichen „Musiktrainingsgruppe“ von Nicole Nagel und einem Grußwort durch Prof. Köpper von den Förderern gab Prof. Hans-Georg Bögner vom Trägerverein des Bauturmtheaters einen Abriss über Haags ungewöhnlich lange Strecke als Schauspieler und Theaterchef; es zeige sich, dass man mit 21 Jahren auch in diesem Milieu endlich volljährig geworden zu sein scheine. Aber der Jubilar – so Bögner - zeigte soviel Verantwortungsgefühl, Loyalität, Treue, Kollegialität und Spiellust – der Rücktritt kann doch dann nicht so einfach angenommen werden. Der Bauturm war immer seine Familie und eng verschmolzen mit seiner Person. Es gab in der Vergangenheit mehrere existenzielle Krisen, die von Haag mit Optimismus und vielfältiger Hilfe gemeistert wurden. Herausragendes Projekt neben den über 500 Aufführungen von „Kunst“ - wo er auch mitspielt – ist „Africologne“, dem er auch weiterhin als Leiter verbunden sein wird. Seine große private Afrika-Begeisterung ermöglichte damals den Sprung ins kalte Wasser, als Projekt der Bundeskulturstiftung erfuhr das Festival Africologne hohe Anerkennung. Haag hinterlässt große Fußstapfen; alles wurde immer ohne Vertrag und nur mit freundschaftlichen Händedruck verabredet. Das Bauturmtheater ist heute eine feste Größe in Köln, Haag verlässt ein gut bestelltes Haus, immer frei nach Loriot: „Ein Leben ohne Bauturm ist möglich, aber sinnlos.“

Unter großem Jubel des übervollen Theatersaals mit 150 geladenen Gästen überreichte Prof. Küpper ihm dann seinen brandneuen Mitgliedsausweis: „Willkommen im Förderverein“. Wenn das mal nicht schon wieder eine nächste große Verantwortung bedeutet.

Was macht man zum Abschied eines Theaterchefs? Man spielt natürlich Theater oder singt. Aus den angesetzten 90 Minuten wurden zweieinhalb Stunden, ganz ohne Pause, die Raumtemperatur stieg an im gleichen Maße, wie der Sauerstoffgehalt sank. Aber alle harrten aus, nicht zuletzt wegen der charmanten Moderation von Doris Plenert, Schauspielerin im Hause. Die langjährigen Hausregisseure Harald Demmer und Rüdiger Pape begeisterten mit Mähnenperücke , einem historischen Foto und einem pfiffigen Text über das Theater von Wolfram Lotz, Mischi Steinbrück sang hingebungsvoll, und Gerhardts alte Freunde Peter und Vreneli Busmann („der mit der Kölner Philharmonie“ und ehemaliger Vorstand des Fördervereins) grüßten mit schon sehr anrührenden Worten.

Nach einem kurzen Spielfilm „Boys of Soveto“, präsentiert von der Filminitiative Köln und dem Ensemble „ Ein bisschen Ruhe“, welches ironisch die eventuellen zukünftigen Rollen für Gerhardt Haag vorstellte, kam dann der Oberkracher, mit dem selbst die Moderatorin nicht gerechnet hatte: Susa Schöne, ehemalige ABM-Kraft des Theaters, liest einen Text von und über sich. Grell bunt gekleidet und stark tätowiert stellt sie sich als ehemals hochgradig drogenabhängige Arbeitslose vor, die aus eigener Kraft ihre Existenz neu begründen konnte -  unter anderem mit ihrem Job beim Bauturm. Das war wirklich so! Betroffenheit und jubelnde Anerkennung war ihr Lohn für den sehr eindrucksvollen Text.

Der von Annette Frier angekündigte Überraschungsgast war natürlich Gerhardt Haag selbst. Mit ein wenig Altersweisheit und philosophischer Gelassenheit ging er auf das Motto der Predigt zu seiner Konfirmation ein: über Visionen und Lebensziele, über Wirklichkeit und Fiktion, bevor er einen Text des großen kongolesischen Schriftstellers und Politikers Sony Labou Tansi zum Besten gab.

Eine musikalischen Performance durch seine Nachfolger, Laurenz Leky und Kollegen, läutete dann den großen Showdown ein: Ein Video nach Kubrik´s „2001 im Weltraum“ mit ordentlich Donner und riesigen Dampfschwaden, die nach ihrem Entweichen im Hintergrund eine Pforte freigelegten, mit eingebautem Telefon und mit der Schrift „Diese Türe ist für Dich immer offen“. Ein größeres Kompliment konnte man dem scheidenden Theaterleiter kaum machen. Und Haag wird – das ist klar - nahtlos in den Unruhestand wechseln, sicher etwas mehr auf Reisen sein, aber immer noch Theater spielen und die spezifische Luft des Hauses einatmen wollen. Wir gönnen es ihm von Herzen.