Übrigens …

Drei Fragen an... Hansgünther Heyme

Hansgünther Heyme studierte zunächst Architektur, Soziologie und Philosophie. In Mannheim lernte er Mitte der 1950er Jahre die Arbeiten Erwin Piscators kennen und wurde dessen Assistent. Reisen mit ihm durchs In- und Ausland folgten.

Heyme arbeitete dann als Schauspieler und Regisseur an den Theatern in Mannheim und Heidelberg, bevor er Oberspielleiter am Staatstheater in Wiesbaden wurde. 1965 wurde er erstmals zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

1968 kam er an die Bühnen der Stadt Köln, Bis 1979 war er zunächst Schauspieldirektor, dann Intendant des Schauspiels. Hier begann eine enge Zusammenarbeit mit dem Übersetzer antiker griechischer Literatur Wolfgang Schadewaldt, dessen Textfassungen er auf die Bühne übertrug. In Zusammenarbeit mit Wolf Vostell entstand der sogenannte „Medienhamlet“.

Als erster in Deutschland hatte Heyme in Köln einen Jugendclub installiert, den „Jugendclub Kritisches Theater“ mit zeitweise zwölfhundert Mitglieder.

1979 wurde er Intendant des Württembergischen Staatstheaters in Stuttgart. Er blieb dort bis 1985 und übernahm danach bis 1992 das Grillo-Theater in Essen. Während dieser Zeit leitete er die Schauspielabteilung der Folkwanghochschule in Essen.

1990 rettete er als künstlerischer Leiter die Ruhrfestspiele in Recklinghausen und erhob sie zum Europäischen Festival. Er blieb dort bis 2003. Von 2004 bis Ende 2014 leitete er das Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen am Rhein.

Seit 2015 ist Heyme als freier Regisseur und Ausstatter tätig und international renommierter Experte für antike Stoffe. Er inszenierte „Antigone“ in Calcutta, „Medea“ in Tashkent (Usbekistan), „Elektra“ des Euripides in Zagreb, Euripides „Ion“ und „Alkestis“ in Lausanne, „Sie Scherben des Euridipes“ in Luxembourg, „Orestes“ des Euripides in Maribor/Slowenien.

Er arbeitet gerne mit Laien und Jugendlichen. Auch als Fernseh- und Filmregisseur machte er sich einen Namen.

 

Was bedeutet für Sie persönlich „Theater“?

Alles! Neben meinen Kindern.

 

Was war für Sie der bisherige Höhepunkt in Ihrer Theaterarbeit?

Die Zusammenarbeit mit dem damaligen Kölner Wolf Vostell.

Wir erschufen den „Medienhamlet“, in meinem letzten Kölner Jahr 1979. Die Produktion wanderte dann mit mir nach Stuttgart - auch dort spielten wir den „Hamlet“ dreißig Mal.

Es war eine erste Arbeit mit den ins Haus stehenden Medien. Über einhundert Glotzen beherrschten die Szene, Kameras, Mikroports et cetera, interpretierten die Schizophrenie eines kaum-noch-Miteinander. Der große Schauspieler Wolfgang Robert und meine Wenigkeit spielten den Hamlet. Am Staatsschauspiel in Stuttgart folgte dann mit Vostell „Die Phönizierinnen“ des Euripides in der Neuübertragung von Jochen Berg. Hier beherrschten unzählige herabhängende Mikrofone die Szene, neben einem von einer Autobahn herabgestürzten Chevrolet. Margit Carstensen spielte die Iokaste. Als drittes machten wir Schauspiel in Düsseldorf, später dann übernommen in Essen Hölderlins „Empedokles“. Ich verkörperte das philosophische Monster in einem Glaskasten über dem Ensemble schwebend. Zwischen ihnen wurde in Eisschränken gelagerter Beton mit Presslufthämmern zertrümmert. Die Mauern wurden gebrochen.

Vostell saß bei den Proben oft in der ersten Reihe, Füße auf der Bühne und warf seine abgenagten Hähnchenkeulen hinter sich. Er brachte die Schauspieler und mich zur Weißglut. Aber: er traf`s oft, ja fast immer auf den Punkt. Wir hassten und liebten ihn. Er wurde unser inniger Freund.

 

Welchen Ort in NRW - abgesehen von „Ihrem“ Theater - würden Sie Besucher*innen gerne zeigen?

Hier möchte ich von einem Ort berichten, der zunächst Probenstätte sein wird für eine meiner wenigen noch nicht inszenierten euripideischen Tragödien.

In einer alten Wursterei, gegenüber dem ehemaligen Schlachthof in Köln-Ehrenfeld haben meine Kollegen von „disdance project“ ein tolles kleines Studio für Darstellende Künste errichtet. Dort wird versucht, mit Hilfe des Theaters und des Tanzes die Götter wieder gnädig zu stimmen. Das Karma wieder herzustellen. Das muss man sich mal vorstellen: über ehemaligen Blutrinnen und in vormaligen Räucherkammern entsteht nun Kunst. Nichts gegen die Kunst der Wurstmacher - jedoch ist mir die jetzige Nutzung weitaus angenehmer.

Das Tollste und für mich Sensationelle ist jedoch die Arbeit an dem Stück selbst. Die pandemische Wirklichkeit, die unendliche Lust am künstlerischen Experiment und meine Verpflichtung gegenüber der Antike haben uns auf Ideen gebracht, die in dieser Form ganz neu sind. Diese Formen mit der antiken griechischen Aufführungspraxis zu symbiotisieren, das ist eine der ganz großen Herausforderungen. Darüber kann ich in den Pausen dort gut nachdenken. In der Sonne, gegenüber dem ehemaligen Kühlhaus mit der eufaktorischen Erinnerung einer geräucherten Mettwurst im Kopf und in der Nase.

Das Ganze wird auf Glotzen spielen, die sich als Köpfe auf Puppen befinden, die im Raum installiert sind. Diese theatrale Installation kann dann laufen und laufen und laufen.

Bei dem „Medienhamlet“ von Wolf Vostell und mir waren es 100 Glotzen in Köln, nun sind es fünf für den Chor, drei für die Protagonist/innen, eine monströse für die Gött/innen.

Bitter schwer ist in Corona-Zeiten die Geldbeschaffung.

 

(Den Kontakt stellte theater:pur-Autor Günther Hennecke her.)

22. Mai 2020