Drei Fragen an... Günther Hennecke
Günther Hennecke wurde, wie der von ihm hoch geschätzte Harry Heine, nur wenige Tage vor Weihnachten in Düsseldorf geboren. Allerdings 129 Jahre später als der romantische Lyriker und zuweilen boshafte Ironiker aus der Bolkerstraße.
Nach ersten Bombennächten in Bilk folgten ab 1942 als paradiesisch empfundene Kindheitstage in Escherndorf, einem ebenso kleinen wie berühmten Winzerort am Main nahe Würzburg. Nach Rückkehr vom Main an den Rhein Ende 1945 war das Max-Planck- Gymnasium an der Kö neun Jahre lang geistige Heimat. Übrigens im steten Wechsel mit dem Görres-Gymnasium: ein Woche morgens, eine nachmittags. Bis zum Abitur 1956.
Nach abgebrochener dreimonatiger Probezeit bei der renommierten Privatbank Trinkaus und vier Monaten Maloche als Hilfsarbeiter in der Gerresheimer Glashütte in Düsseldorf begann es endlich: das Studium mit Germanistik, Latein und Philosophie. Es folgte 1964 die Promotion zum Dr. phil. mit der Dissertation „Stefan Georges Beziehung zur antiken Literatur und Mythologie“. Ein Semester später kamen die Staatsexamina in Latein und Germanistik hinzu.
Während des Studiums bereits als Fotomodell „entdeckt“, schloss sich den Examina ein sechsjähriges intensives Model-Leben an. Auch um aufgelaufene Studien-Schulden abzuzahlen.
Dann wurde es ernst. Nach einem Volontariat bei der Neue Ruhr-/Neue Rhein Zeitung in Essen war ich bis Ende 1974 in der Kölner Lokal-Redaktion der NRZ verantwortlicher Redakteur für das Ressort Kultur. 1975 folgte dann die lange Zeit als Pressesprecher für Kultur (und Schulen) beim Landschaftsverband Rheinland (LVR), die 1999 endete. Noch bis 2002 war ich Stellvertretender Chefredakteur der einzigen regionalen, monatlich beim LVR erscheinenden Kulturzeitschrift „neues rheinland“.
Freiberuflich hatte ich das Vergnügen und die Ehre, von 1980 bis 1992 als Kritiker und NRW-Theater-Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung tätig zu sein.
Zudem griff ich als freier Kritiker im Laufe von über 50 Jahren, seit etwa 1968 bis heute, für über 20 deutsche Regionalzeitungen und Zeitschriften zwischen Berlin und Kiel, Frankfurt und Stuttgart, Nürnberg und Saarbrücken in die Tasten. Für die Neue Osnabrücker Zeitung und die Rhein-Neckar-Zeitung schreibe ich noch heute.
Was bedeutet für Sie persönlich Theater?
Es waren zwei ungewöhnliche Inszenierungen mit grandiosen Schauspielern, die bei mir die Faszination fürs Theater begründeten. Zwei DM kostete damals, Mitte der Fünfzigerjahre, ein Platz in den beiden letzten Rang-Reihen des alten Düsseldorfer Schauspielhauses an der Jahnstraße. Von dort oben, vom „Olymp“ aus, gierten Auge und Ohr des 15-jährigen Gymnasiasten immer wieder nach dem Besonderen. Da war damals Ernst Deutsch, dieser grandiose jüdische Schauspieler, als Lessings „Nathan“. Unvergesslich auch Goethes „Faust“ mit Gustaf Gründgens als Mephisto und Paul Hartmann als Faust. Auch das Gretchen der Käthe Gold und Elisabeth Flickenschildt als Marthe sind unvergessen.
Es war eine Zeit, in der man sich, um Karten für die Aufführung in der darauf folgenden Woche zu ergattern, stundenlang in die Schlange der Theater-Besessenen vor der Vorverkaufs-Kasse einreihte. Es war auch ein Jahrzehnt, in dem das Düsseldorfer Schauspielhaus als eine der führenden Bühnen Europas galt. Allein Ernst Deutschs „Nathan“ war jahrelang eine bewunderte Visitenkarte des Hauses in vielen europäischen Ländern der Nachkriegszeit.
Der 1899 in Düsseldorf geborene Gründgens und der in Prag 1890 geborene Ernst Deutsch; der Duisburger Karl-Heinz Stroux, unter dessen Intendanz und Regie (von 1955 bis 1972) es gelang, europaweit beachtete Uraufführungen der wichtigsten Stücke Eugene Ionesos an den Rhein zu holen; und das italienische Theatergenie seiner Zeit, der Chef des Mailänder „Teatro Piccolo“, Giorgio Strehler: Das waren die „Götter“ des Schülers und jungen Studenten G. H.
Als ich dann, als bis heute bekennender Düsseldorfer, zum Studium nach Köln „verschlagen“ wurde, ging die Faszination weiter - für den damals bescheidenen kleinen freien Journalisten. Unvergessen bleibt der erste Auftrag der Kölnischen Rundschau für meine allererste Theaterkritik: Im Kölner „Keller-Theater“, unter dessen Gründerin Marianne Jentgens damals wirklich noch in einem Keller zuhause, gab’s „Aulularia“, den „Goldtopf“ des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus (ca. 254-184 vor Chr.). Es war der Anfang des Kritikers G.H.
Was waren für Sie die bisherigen journalistischen Höhepunkte auf der Bühne
Höhepunkte in all diesen Jahrzehnten gab es viele. Für den Journalisten und in erster Linie Theaterkritiker war die Arbeit für die Neue Zürcher Zeitung, für die ich von 1980 bis 1992 jedes Wochenende unterwegs war, sicher der ehrenhafte Glanzpunkt meiner „Karriere“.
Höhepunkte meiner journalistischen Arbeit als Kritiker, der dabei auch vom politischen Journalismus gestreift wurde, waren aber vor allem meine Reisen mit Roberto Ciullis „Theater an der Ruhr“. Ich begleitete das Ensemble in drei ganz unterschiedliche Theater-Welten. In Sarajevo, dem einstigen Jugoslawien, war ich 1998 dabei, als Ciullis Ensemble mit Anton Tschechows „Kirschgarten“ Triumphe feierte. Spannend war es zudem, die Gastspiel-Reisen Ciullis mit Georg Büchners „Dantons Tod“ und Woody Allens „Gott“ in Ankara und Istanbul im März 1987 zu erleben.
Eine Ereignis in mehrfacher Hinsicht war freilich die Reise des Ruhr-Theaters im Jahre 2001 durch die vier zentralasiatischen Staaten Usbekistan und Kirgisistan, Kasachstan und Turkmenistan. Peter Handkes „Kaspar“ faszinierte in den jeweiligen Hauptstädten, ob in Taschkent oder Bischkek, Astana oder Asgabat spürbar die Menschen eines vermeintlich völlig fremden Kulturkreises. Doch Handkes fast wortloses Stück ließ spüren, mit welcher Kraft zupackendes und bildmächtiges Theater überall auf diesem Erdball Menschen in Bann zieht.
Hochpolitisch wurde die Reise für meine journalistische Kollegen und mich, als uns beiden die Einreise und weitere Begleitung des Ciulli-Teams nach Turkmenistan verweigert wurde. Der „Spiegel“ hatte, kurz zuvor, den „Herrscher der Turkmenen“, Turkmenbaschi, angeblich so hart kritisiert, dass Sippenhaft zugriff und es hieß: Einreise-Stopp für deutsche Journalisten! So erlebten wir den Eingriff eines Potentaten in eine freie Berichterstattung, ehe die möglich und nachprüfbar war.
Welchen Ort in NRW würden Sie Besuchern und Freunden zeigen?
Als in Köln seit 1960 lebender Düsseldorfer habe ich stets „rheinisch“ gedacht. Ich bewundere Aachens Weltkulturerbe „Oktogon“. In enger Zusammenarbeit mit dem Fotografen Hermann Weisweiler erschien übrigens 1981 die Publikation „Das Geheimnis Karls des Großen“.
Ich bin gerne im ebenso kleinen wie feinen Bonn, halte Krefeld und Neuss für kleine Perlen dieses Rheinlands und erlebe in den „Gesichtern“ der Städte Köln und Düsseldorf sowohl das Spannungsverhältnis als auch die Vielfalt einer an kulturellen Glanzpunkten äußerst lebendigen Region. Gucken, staunen, sich freuen über diese Landschaft zwischen Kölscher Bürgerlichkeit, Düsseldorfer Eleganz - und dem Neandertaler, der weltweit endlich auch zu unseren Vorfahren gezählt werden darf. Auf also auch nach Mettmann, ins dortige Museum. Dabei auch nicht den Niederrhein vergessen: Xanten, ein römisches Juwel; Kleve, einst ein Glanzpunkt rheinischer Geschichte.
Zum Schluss noch ein wichtiges Wort zu den stets so gerne beschworenen Querelen zwischen Köln und Düsseldorf. Als 1288 der Kölner Erzbischof aus der Domstadt gejagt wurde, haben bei Worringen Kölner und Düsseldorfer (als Bergische Bürger des Grafen von Berg) Seite an Seite gekämpft. Gemeinsam haben sie mit Hilfe aus Limburg, Brabant und anderen den Rausschmiss erreicht.
Die Schlacht bei Worringen kann also nicht, wie immer wieder fälschlicherweise kolportiert wird, der Beginn der gegenseitigen Abneigung zwischen Köln und Düsseldorf gewesen sein.
Genießen wir doch diese so reiche Kultur-Landschaft statt sie kleinkariert zu zerlegen! Sogar stolz darf man auf sie sein.
8. Juli 2020