Zum Tod von Lars Norén
Lars Norén 9.04.1944 - 26.01.2021
Einer der führenden schwedischen Lyriker, Dramatiker und Regisseure ist tot. Noréns Werk nicht intensiver kennengelernt zu haben, ist eines der großen Versäumnisse des Unterzeichners. Im November 2015 aber fanden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen an zwei verschiedenen nordrhein-westfälischen Bühnen zwei Deutschsprachige Erstaufführungen des düsteren Stückeschreibers aus dem Norden statt (Rezension hier). Unterschiedlicher als die zarte, eher übersichtliche Komposition von „Überwintern“ am Theater Oberhausen (Inszenierung Bastian Kabuth) und das kunstvoll gewobene, anspruchsvolle „3.31.93“ in der Regie des Puppenspielers und Menschentheater-Künstlers Moritz Sostmann am Schauspiel Köln konnten zwei Stücke kaum sein, aber beide lohnten den Besuch und vermittelten einen so berührenden wie erschreckenden Eindruck von der pessimistischen Weltsicht ihres Autors. Die Hölle des Lebens, von der Norén in seinen Werken berichtete, hat der Dramatiker und Regisseur selbst erfahren. Ein eklatanter Missbrauch seines Vertrauens führte einst fast zu einer Beendigung seiner Karriere: In seinem Theater-Projekt „Sieben Drei“ in Stockholm ließ er inhaftierte Gewaltverbrecher auftreten, und zwei von ihnen nutzten den ihnen im Sinne der Kunst und der Rehabilitation gewährten Freigang dazu, eine Bank zu überfallen. Auf der Flucht erschossen sie zwei Polizisten. Unter der Last massiver öffentlicher Vorwürfe legte Norén vorübergehend die Intendanz des Stockholmer Riksteaters nieder.
In Deutschland haben sich Claus Peymann und vor allem Thomas Ostermeier um die Rezeption von Lars Norén verdient gemacht. Ostermeier eröffnete seine Intendanz an der Berliner Schaubühne im Jahre 2000 mit Noréns „Personenkreis 3.1“, das vom Publikum gründlich missverstanden wurde. Wie gern hätte ich es damals gesehen! Ein internationaler Erfolg wurde dagegen Ostermeiers Inszenierung von „Dämonen“, ein Stück aus der Frühphase des Autors, das noch eher konventionell gebaut ist und eine gnadenlose Ehehölle à la Bergmans „Szenen einer Ehe“ oder Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ durchdekliniert . Zuletzt befasste sich Ostermeier in seinen Texten vor allem mit dem Altern und dem Sterben. „Jetzt, wo wir nicht mehr so viel Zeit haben, haben wir viel Zeit“, sagt ein alter Mann nach seinem Eintritt ins Rentenalter in Sostmanns großartiger Kölner Inszenierung von „3.31.93“. Im Stück bleibt, wenn es gut geht, Einsamkeit nach der Trennung vom Ehepartner. Wenn es schlecht geht, bleibt Einsamkeit in der Klinik, in der Altersdemenz, im Alkoholismus, bleiben Schlaganfall, der Totalausfall aller Körperfunktionen, Paranoia, Depression und Lungenkrebs.
In einer Klinik in Stockholm ist Norén jetzt an Covid-19 verstorben. Zumindest war er wohl nicht einsam. „ZEIT online“ zitiert eine Mitteilung von Noréns Verlag, der zufolge seine Familie dem Krankenhauspersonal für die „fantastische Betreuung und Fürsorge“ danke. Aus Anlass seines Todes streamt die Schaubühne Berlin vom 5. bis zum 8. Februar 2021 auf ihrer Homepage eine Aufzeichnung von „Dämonen“. - Dietmar Zimmermann