Die goldenen zwanziger Jahre
Foxtrott und Shimmy, Czárdás und Charleston, Walzer und Tango, Boston und Blues - so tanzten die Reichen und die Schönen in den Metropolen der Welt von New York bis Paris und Berlin in den „Goldenen zwanziger Jahren“ (und nun auf Gelsenkirchens Bühne). Daneben aber forderte „die Hölle Moloch“ ihren Tribut. Otto Dix fing das Laute und das Leise der 1920er Jahre auf seinem Großstadt-Triptychon ein, entstanden 1927/28.
Das Musiktheater im Revier übernahm den Bildtitel und das Flair für die Inszenierung von drei Kurzopern der Ära, Stefan Wolpes Musikalische Groteske Zeus und Elida (1928) als szenische Uraufführung, Edmund Nicks Lyrische Suite Leben in dieser Zeit (1929) auf Gedichte des sehr jungen Erich Kästner und Brecht/Weills gesellschaftskritisches Mahagonny-Songspiel (1927). Welche Fundgrube fürs Theater! Welch ein Leckerbissen für Musiker und Tänzer wie auch für das Publikum!
Für Stefan Wolpe (1902 in Berlin geboren, 1972 in New York gestorben), einen der Letzten der Zweiten Wiener Schule, hat sich in Amerika bereits eine Renaissance angebahnt. Seine Groteske ist keine leichte Kost für die Ohren. Unter zwölftönendem Chaos verbergen sich kabarettistische Facetten, Tänze von Blues bis Tango und Jazz-Rhythmen. Umso heiterer ist die Geschichte: auf dem Potsdamer Platz beginnt der leicht senile Göttervater Zeus (Tomas Möwes), auf der Suche nach der schönen Europa (Alina Köppen, Tanz), ein Techtelmechtel mit dem Kosmetik-Model Elida (Alfia Kamalova, Gesang) – bis der Staatsanwalt den ganzen Platz kurzerhand „verbietet“. Musikalisch wesentlich eingängiger bis plakativ geht’s weiter. „Herr Schmidt“ Lars-Oliver Rühl und „Chansonette“ Christa Platzer besingen elegisch den Alltag der einfachen Leute. Fast zum Mitsingen bekannt (durch Aufnahmen mit Lotte Lenya und Ute Lemper) sind die berühmten Weill-Songs, entstanden als Vorstudie für die spätere Oper vom Aufstieg und Fall der Wüstenstadt. Wie aktuell diese Raritäten aus der Musikgeschichte sind, muss man nicht lange hinterfragen.
Regie führt Bridget Breiner. Sie lässt ihrer Vorliebe fürs Musical souverän freien Lauf und mischt unter das authentisch kostümierte, wunderbar mit-swingende Sängervolk die Tänzer des bisherigen „Ballett Schindowski“, das sie als „Ballett im Revier“ von der nächsten Saison an in anderer Zusammensetzung leiten wird. Ein zufälliger „Einstand“ sei es gewesen, sagt Breiner. Denn als Generalintendant Michael Schulz ihr Inszenierung und Choreografie der drei Einakter anbot, war noch gar nicht die Rede von ihrer möglichen Nachfolge Schindowskis. Sehr bald habe sich gezeigt, dass „die Chemie stimmt“.
Eine glänzend gelungene Visitenkarte hat die Ex-Solistin des Stuttgarter Balletts und aufstrebende Choreografin mit ihrem ersten Spagat zwischen Tanz und Musiktheater abgegeben. Die heikle Situation der Zusammenarbeit mit den vierzehn gekündigten Tänzerinnen und Tänzern (die sich allerdings für die demnächst beginnenden Auditions bewerben konnten) beschreibt sie als „menschlich“. Man sei respektvoll und professionell mit einander umgegangen. Angenehm fiel (wieder einmal) die zierliche, aparte Xiang Li auf. Der langgliedrige Min-Hung Hsieh überzeugte vor allem als Pendant des Sprechers (Joachim G. Maass). Eindruck hinterließ auch Yun Liao mit einem clownesken Solo in Nicks Arme-Leute-Revue. Die zarte Alina Köppen schwebte wie die von Zeus gesuchte Europa durch alle drei Stücke und hatte das letzte „Wort“ nach dem bunten, lärmenden Treiben mit einer winzigen Episode, die wie ein verfremdeter „Sterbender Schwan“ wirkte.