Übrigens …

Artaserse im Köln, Oper

Fünf + Eins auf einen Streich

Man bekam schon eine Vorstellung über die Wirkung von Artaserse auf das Publikum, welches vor knapp 300 Jahren in Rom in die Oper von Leonardo Vinci strömte; ein Werk, welches für fünf Kastraten geschrieben war. Wie aus alten Schilderungen bekannt, dürften auch die Reaktionen der abonnentenfreien Sänger-Fans in der hoch umjubelten konzertanten Aufführung der Kölner Oper am Dom kaum geringer ausgefallen sein als dereinst. Die österreichische Agentur Parnassus zieht mit der Truppe durch die Lande, war zuvor konzertant in Wien und auch szenisch in Nancy, hat bei EMI eine sehr empfehlenswerte CD mit fast identischer Sänger-Besetzung herausgebracht; die Kölner Oper war nur Veranstaltungsort.

Frauen hatten in der Barockoper auf der Bühne nichts zu suchen, man ersetzte sie daher durch die armen operierten Wesen; und da diese so schön und so laut singen konnten, spielten sie auch Männerrollen. An der Gestaltung von Artaserse ist klar zu erkennen, dass die eigentlich unbedeutende Handlung nur als Agens für die wie an einer Perlenkette aufgereihte ellenlange Arien diente. Die als reiner Text ohnehin kaum zu behaltend komplizierte Geschichte über Mord und Macht, über Liebe und Eifersucht und die finale Verzeihung und Gnade des Herrschers schien auch in Köln nicht wichtig, auf Übertitel wurde verzichtet, man konnte ohne ein schwülstiges Libretto ganz entspannt zuhören. Wenngleich eine knappe Handlungsübersicht mit Erläuterung der einzelnen Akteure im teuren Programmheft sinnvoll gewesen wäre. Oder Übertitel nur mit dem Handlungsgerüst, wie es zurzeit in der Dortmunder Poppea vorgemacht wird.

Trotz der atemberaubenden Sängerriege - die noch vor der Ouvertüre kurz aufmarschierte – gehört die Palme des Abends dem Schweizer Dirigenten Diego Fasolis mit dem Barockorchester Concerto Köln. Fasolis, zunächst Organist und Komponist, ist ein vielseitiger Vollblutmusiker, der erst später ans Dirigieren kam – aber wie! Unkonventionell, aber sehr erfolgreich, im Stehen und mit weit ausholenden Arm- und Schulterbewegungen, mit Hüftschwung und Fingerakrobatik, mit Kopf und mit Blicken steuerte er seine hoch aufmerksamen Musiker, tänzelte dabei, bearbeitete energisch das zweite Cembalo. Fast ersetzte er eine Inszenierung; schade, dass man seine Mimik nicht verfolgen konnte. Man fieberte regelrecht mit ihm im Spannungsaufbau, im nervigen Drive, in wunderbaren Ritardandi, in den frappierenden Dynamiksprüngen. Das Orchester parierte entsprechend: perfektes Barock-Feeling mit hochpräzisen Geigenläufen, mit delikaten Bläsern (besonderes Kompliment an die blitzsauberen Hörner), mit glänzendem Continuo, mit Spannung wie himmlischem Gleichmaß und Ruhe und perfekter Synchronisation mit den Akteuren.

Und dann die Sänger. Bei einer solch illustren Gesellschaft der berühmtesten Countertenöre an einem Abend liegt die Frage natürlich nahe, wer denn der Beste von ihnen sei; klare Antwort: Alle, aber jeder anders. Es war ein ungeheures musikalisches Vergnügen, die Stimmen hintereinander, allerdings leider kaum nebeneinander zu vernehmen auf Timbre, Technik, Artikulation, Gestik und Mimik, Klangfarbe, mehr viril oder soprantypisch. Bis auf das unglaubliche Schluss-Sextett, welches als Zugabe wiederholt wurde, gibt es über gut drei Stunden in der ganzen Oper nur ein einziges, aber umso bedrückenderes Duett, wo man zwei Sänger direkt vergleichen konnte.

Der Titelheld Philippe Jaroussky ist seit langem hoch dekoriert im Geschäft, er glänzte mit blühendem, perfektem Sopran, mit Kraft, mit wunderbarem Legato und herrlichem Piano. Der Argentinier Franco Fagioli, aus der Kölner Poppea als Nerone noch bestens in Erinnerung, verblüffte mit stupender Technik, mit gleißenden Koloraturen und riesigem Tonumfang. Sehr nett seine kleinen Clownerien, mit der die Begeisterung für seinen Gesang zum Ausdruck bringt: „Bin ich nicht toll?“ Es scheint, dass er - historischer Aufführungspraxis folgend – in seinen Da-Capo-Arien eigene Finessen eingebaut hat; ein wenig gewöhnungsbedürftig ist jedoch sein durchgängig starkes Vibrato. Max Emanuel Cenic, in der Frauenrolle der Mandane, stand seinen Kollegen in Gesangskultur und Technik in nichts nach, ebenso wie Valer Barna-Sabadus, der mit weiblich weich schimmernder Stimme und sanft zur Körperbewegung schwingend die Semira sang; beide rollengemäß in buntem Umhang. Auch der Russe Yuriy Mynenko als Megabise demonstrierte seinen unverwechselbaren Klang und seine höchst bewundernswerte artistische Gesangskunst. Der Fiesling in der Story ist Artabano, der Rolle nach eine „normale“ Stimme, gesungen vom Tenor Juan Sancho, der es gegen die Counter-Riege nicht einfach hatte und im Vergleich richtig tief klang. Der junge Spanier punktete mit einer sehr flexiblen Stimme, blitzsauberen Koloraturen und hoher Bühnenpräsenz; ein wenig mehr tenoraler Schmelz mag sich noch entwickeln.

Wenn dem Rezensenten abschließend dennoch eine Wertung erlaubt sei: Er bewunderte die Gesangskunst von Fagioli, liebte jedoch die fast himmlische Stimme von Barna-Sadus. So ist das im Leben, wirklich perfekt ist nichts und niemand

Zur Pause nach Fagiolis’ furioser Arie „Vol solcando“ und erst recht zum Schluss frenetischer Applaus und eine riesenlange Schlange am Signier-Tisch.