Übrigens …

Die Gezeichneten im Köln, Oper

Porträt eines Außenseiters

Franz Schreker ist eine tragische Figur der Musikgeschichte. In seiner Zeit gehörte er zu den am meisten gespielten Komponisten. Dann verlor seine erotisch parfümierte Musik irgendwann den Reiz des Neuen, die sexualpathologischen Sujets seiner Opern waren ohnehin immer etwas anrüchig. Eine begrenzte Renaissance gab es ab den siebziger Jahren; an Köln ging sie allerdings vorbei. Dabei war beispielsweise 1924 in Köln Schrekers Irrelohe uraufgeführt worden (unter Otto Klemperer), eine Oper, derer man sich immerhin 2010 im nahen Bonn erinnerte (der CD-Mitschnitt erhielt glänzende Kritiken). Zur Ehrenrettung Kölns: der Westdeutsche Rundfunk produzierte mit seinem Rundfunkorchester etliche sinfonische Werke Schrekers, und das auch für die städtischen Opernvorstelllungen zuständige Gürzenich-Orchester spielte in den GMD-Zeiten von James Conlon eine Schreker-CD ein. Conlon entdeckte aber vor allem Alexander Zemlinsky. Dieser Komponist ist auch im Zusammenhang mit Schrekers Die Gezeichneten zu nennen, jetzt neu in Köln, eine Art von „Wiedergutmachung“.

Schreker als sein eigener Librettist hatte den Text der Gezeichneten zunächst für Zemlinsky geschrieben, dem viel daran lag, einen an seiner Hässlichkeit leidenden Menschen zu porträtieren. Mangelnde körperliche Attraktivität war ja auch sein eigenes Problem. Anders als der mönchisch lebende Alviano in der Oper hatte er freilich so seine Affären. Je mehr sich Schreker in das Sujet hinein lebte, desto stärker faszinierte es ihn als Komponist. Schließlich reklamierte er es ganz für sich. Vielleicht hatte eine der Stoffvorlagen, Oscar Wildes Der Geburtstag der Infantin, ihn schon nachhaltig beeindruckt, als er etliche Jahre zuvor eine gleichnamige Ballettpantomime schrieb. Wie auch immer: Zemlinsky „tröstete“ sich gleichfalls mit dieser Erzählung, die er zu seiner Oper Der Zwerg ausbaute (1922 Premiere in Köln!). Es ist übrigens interessant, dass sich in jenen Jahren auch Franz Schmidt für die Figur des hässlichen Liebhabers interessierte (Quasimodo in „Notre Dame“).

In den Gezeichneten widmet sich ein weiterer psychologischer Erzählstrang dem Typus Frau, wie er von Sigmund Freu und Otto Weininger („Geschlecht und Charakter“) gesehen wurde. Carlotta bei Schreker ist zweifelsohne ein triebhaftes Wesen, welches sich dem juanesken Tamare willig und lüstern hingibt. Aber sie ist auch Künstlerin (Malerin), die nach einem Höchstmaß an Ausdrucksdifferenzierung sucht. Das ist der Grund ihres Interesses an Alviano. Die Umrisse seiner Figur hatte sie schon einmal festgehalten, doch fehlt ihr für die Gesichtspartie der Blick von höchstem Glücksgefühl. Darum - und Patrick Kinmonths Inszenierung behauptet: ausschließlich darum - lockt sie Alviano in ihr Atelier, umgarnt ihn und lässt den Unfrohen glauben, er würde begehrt.

Die Wahrheit erfährt Alviano dann im 3. Akt, nachdem das Volk sein heiliges „Elysium“ bestaunt hat, welches er der Stadt zum Geschenk machte, damit es nicht weiter von den heimlichen Orgien seiner Kumpanen entweiht wird. Den Morden an Carlotta und Tamare, welche während des Vorspiels zur Oper vorweggenommen werden, folgt am Ende noch Alvianos Selbsttötung. Tamare hat sich zuvor freilich wieder erhoben: ein Mann wie er wird nicht untergehen und weiterhin Frauen in seinen verderblichen Bann ziehen. Ein Außenseiter wie Alviano mag eine noch so gute Seele sein eigen nennen - gegen die Überwältigung durch den Eros wird er nie aufkommen.

Kinmonth, lange Jahre Mitarbeiter von Robert Carsen, u.a. bei dessen Kölner Ring, hat ebenfalls in Köln erfolgreich seine erste eigene Regiearbeit vorgelegt (Madama Butterfly, 2008). Auch die Schreker-Oper inszeniert er atmosphärisch dicht und mit lebendiger Aktion (bei gelegentlichen kleineren Steifheiten). Reizvoll seine Idee, das vom Libretto vorgesehene Renaissance-Ambiente nur choreografisch zu zitieren (auch bei den von Dario Petrovic mit entworfenen Kostümen), und als Imagination eines idealisierten Lebens auszugeben.

Die wichtigste Außenspielstätte der Kölner Oper während ihrer Sanierung (bis 2015) ist - neben einem ehemaligen Musical-Zelt - die Mehrzweckhalle „Palladium“, welche in der Regel neben der Bühne nur einen langem Zuschauerschlauch bietet. Bei Kálmáns Csárdásfürstin wurde in einem der kleineren Räume erstmals eine stückspezifische Ausstattung ohne strenges Guckkasten-Prinzip realisiert. Bei den Gezeichneten ist das Spielareal in der Hallenmitte. An den Seiten befinden sich Alvianos verglastes Hochparterre-Haus (welches dem Rezensenten günstigerweise den (vermutlich störenden) Anblick des in Licht getauchten Orchesters ersparte) sowie gegenüber Carlottas Atelier. In den Autowracks darf man optische Negativ-Signale für eine „moderne“ Gesellschaft vermuten.

Diejenigen Zuschauer, welchen der Blick auf das Orchester vergönnt ist, profitieren fraglos davon, Markus Stenz am Pult agieren zu sehen. Aber auch durch das Ohr allein wird man sich zur Genüge bewusst, dass hier ein sensibler Klangdramaturg am Werk ist, der gleichzeitig um die Gesetze des theatralischen Timings weiß. Stenz sieht, wie er in einem Interview erläuterte, Schrekers Musik als „Psychologie in Tönen“, die „wahnsinnig dicht an den Texten und Subtexten der Personen“ ist.

Es macht wenig Sinn, sämtliche Vertreter von Comprimario-Partien namentlich anzuführen; es sollte genügen zu sagen, dass ein hervorragendes Ensemble am Werk ist, bei besonders markanten Auftritten der Baritone Oliver Zwarg (Herzog Adorno) und Jyrki Korhonen (Podestà). Den Abend tragen vor allem drei außerordentliche Sängerdarsteller. Stefan Vinke verleiht mit seinem wagnergestählten Tenor dem Alviano auch in seiner Geducktheit Autorität, nimmt ihm deswegen aber nichts von seiner Leidenslast. Als Tamare protzt Simon Neal mit ausladender Stimme, die Carlotta gibt Nicola Beller Carbone mit schillernden Ausdrucksfarben. Alle Mitwirkenden debütieren in ihren Rollen.

Ein außerordentlicher Abend, hoffentlich mit rezeptionellen Folgen für Franz Schreker.