An der Oberfläche erzählt
Puccinis Japan-Oper in Bonn: richtig schön traurig. Das ist keineswegs ironisch gemeint. Man kann sich an Puccinis Musik fraglos etwas überhören. Aber dann wird neuerlich klar: der Komponist schrieb unwiderstehliche Musik für’s Herz, für das Gefühl, in der Machart sicher raffiniert und kalkuliert, aber emotional ohne Umschweife und fast immer ins Ziel treffend. Ein Beispiel nur: wenn das Schiff von Butterflys so lange abwesenden Gatten Pinkerton endlich im Hafen von Nagasaki einläuft, ertönt als Erinnerungsmotiv das „Un bel di vedremo“ im sphärischen Geigendiskant. Da bleibt einem schon etwas die Luft weg.
Puccinis Musik vermag mit fahlen Klängen aber auch Menschenleid beklemmend auszudrücken. Bei der Bonner Butterfly-Premiere war in der Final-Szene, wo die wunderbare Yannick-Muriel Noah zudem hautnah spüren ließ, wie die Titelheldin Cho-Cho-San langsam von der traurigen Wahrheit ihrer Existenz eingeholt wird, die Stille im Auditorium wie mit Händen zu greifen. Die kanadische Sopranistin ist am Bonner Haus schon als Aida, Tosca und sogar als Fidelio-Leonore aufgetreten. Eine Mädchenstimme für Cio-Cio-San stand von ihr also nicht zu erwarten. Dennoch verleiht sie ihrer Partie genügend zarten Schmelz. Ein Loblied aber auch auf den jungen, neu engagierten Kapellmeister Stephan Zilias und das Beethoven Orchester. Nach einem passend scharfkantigen Einstieg in die Partitur (auch später wird dramatischer Hochdruck nicht umgangen) lässt Zilias die lyrischen Puccini-Klänge blühen und strömen.
George Oniani als Pinkerton prunkt mit seinem höhengleißenden Tenor (im Tempo ist er mit dem Dirigenten nicht immer ganz synchron), Giorgos Kanaris porträtiert den Sharpless überzeugend und nobel mit seinem volltönenden Kavaliersbariton, Susanne Blattert gibt angemessen die Suzuki. Aus dem Comprimario-Ensemble sticht Jonghoon You als gestenreicher, intriganter Goro hervor.
Wenn erst zuletzt von der Inszenierung die Rede ist, so deshalb, weil Mark Daniel Hirsch von interpretatorischen Eitelkeiten völlig frei ist und sich ganz auf das Innere der Oper konzentriert. Im Zeitalter des sogenannten Regietheaters wirkt eine solche Haltung sicher etwas altmodisch, und sie sollte auch wirklich nicht zur Norm werden. Aber für den Moment wirkt sie entspannend innerhalb einer mit Äußerlichkeiten oft genug egomäßig aufgeheizten Theaterszene. Hirsch ist seit fast zwei Jahrzehnten Spielleiter an der Oper Bonn und als solcher für die Betreuung laufender Inszenierungen zuständig, verfügt in punkto Regie also über viel Routine. Gelernt hat er u.a. bei Giorgio Strehler, Jean-Pierre Ponnelle, Patrice Chéreau und Robert Wilson. Nach eigener Aussage hat ihn Italien besonders geprägt: „Man legt (dort) mehr Wert auf das Visuelle, auf Licht und Atmosphäre, weniger hingegen auf das Konzeptionelle.“
Dies auf die Bonner Butterfly übertragen: man sieht nur wenig, was man nicht schon bei anderen traditionellen Aufführungen erlebt hätte. Nur wenige variierende Details fallen auf. So ist es sehr ergreifend, wenn Cio-Cio-San im Liebesduett zärtlich die Hände Pinkertons berührt, sich ihm mit dieser Geste sozusagen ganz anheim gibt. Während des Vorspiels zum 3. Akt läuft Butterflys Söhnchen spielerisch über die Bühne und bekleidet sich mit einer zurückgebliebenen Uniformjacke von Papa, welcher auch in persona kurz eingeblendet wird. Realiter erscheint er bei seinem letzten Auftritt leicht verkrüppelt, jedenfalls am Stock gehend, was dem Charakter freilich nichts Erkennbares hinzufügt. Auch der rieselnde Schnee (?) beim Summchor entbehrt einer tieferen Bedeutung verbreitet lediglich anheimelnde (und kitschnahe) Stimmung. Über die schwarz verhüllte, das Kabuki-Theater zitierende Person, welche vor allem die Schiebewände zu bedienen hat, wird man wohl gleichfalls unterschiedlich urteilen. Wirklich prägend ist ihr letzter Auftritt (nun in Weiß), wo sie mit einem Schal auf den Armen Cio-Cio-San zum rituellen Selbstmord animiert. Der geschieht optisch verschwommen hinter einer milchglasigen Wand, womit die Grausamkeit der Situation stark abgemildert wird. Pinkteron verbleibt im Off und hätte doch, was in anderen Inszenierungen häufig gezeigt wird, diese Tat hautnah miterleben können (und sollen).
So aber liegt gewissermaßen ein freundliches Lächeln über der Aufführung, was durch die malerische, in ihren Dimensionen fast palastartigen Bühne Helmut Stürmers unterstrichen wird. Die Kostüme von Dieter Hauber sind schmuck und stammen (besonders deutlich zu sehen bei Kate Pinkerton – Kathrin Leidig) aus der Zeit der Werkuraufführung. Dass Cio-Cio-San im 2. Akt europäische Kleidung trägt, ist ein Akzent, den man erwarten durfte.