Übrigens …

Turandot im Köln, Oper

Hörenswertes Spektakel

Seit fast zwei Jahren befindet sich die Kölner Oper jetzt im Ausweichquartier im Deutzer Staatenhaus, einer ehemaligen Messehalle mit Atmosphäre, aber ohne klassische Theatertechnik, ohne Züge oder Hubpodien, sogar ohne nennenswerte Hinter- oder Seitenbühne. Dieser Situation, deren Ende noch nicht abzusehen ist, hat Lydia Steier jetzt ein großformatiges, knallbuntes, wirkliches Spektakel abgetrotzt. Ihre Turandot - Inszenierung ist eine logistische Meisterleistung sondergleichen, eine pompöse China – Show, die bei wohl nicht einmal zehn Meter Bühnentiefe immer wieder 150 Bühnenakteure lustvoll hin und her bewegt und sich dabei um kein Klischee schert.

Manchmal wähnt man sich fast auf einer Themen-Karnevalsveranstaltung, wenn man die verschiedenen Typen ansieht, die prügelnden Schergen in besticktem Schwarz, die weißgekleideten Garden mit ihren ‚Pickelhaubengesichtern‘, die Massen in stilisierter Reisbauern-Tracht oder die Minister in ihren zwei Meter fünfzig lange Roben, in denen sie auf Podesten hin und her geschoben werden. Optischer Höhepunkt von Ursula Kudrnas Kostümen ist aber sicher Turandots erstes Outfit: ein riesiger Glockenrock aus pinkem Samt, dazu eine Louise-Brooks-Frisur, auf der ein Butterlecker mit Goldquasten sitzt. Catherine Foster sieht aus wie eine Figur aus einem Tim-Burton-Film.

Eine große Bühne wird spektakulär hereingefahren und enthält sogar eine kleine Drehbühne. Zwei Tribünen kommen dazu und der rotgewandete, symmetrisch hüpfende Kinderchor wird in einer Art Dschunke über die Bühne gezogen. Und alles mit reiner Muskelkraft. Auch Claude Schnitzler lässt keinen Effekt aus. Mit dem hinter den Bühnenraum verbannten Gürzenich – Orchester und dem klangprächtigen Chor heizt er mächtig ein, bringt Puccinis viele Exotismen druckvoll zu Gehör, klingt aber in den Tutti-Passagen etwas breiig und in den Konversationsszenen etwas flach, was zweifellos der Akustik und ungünstigen Positionierung geschuldet ist.

Neben dem Spektakel wartet Lydia Steier mit einem Deutungsrahmen auf. Vor dem ersten Ton ziehen Statisten auf, westlich gekleidet, in Zylinder, Gehrock und dezent raschelnde Kleider. Die ersten beiden Akte sind sie immer wieder präsent. Es entsteht der Eindruck, als würde das Spektakel für sie inszeniert, ein Spiel im Spiel, aber von wem? Über der Bühne prangt die Leuchtschrift „Pekino“. Ein Hinweis auf den Ort der Handlung auf Italienisch oder ein plump medienkritischer Wortwitz? Turandots stummer Auftritt im ersten Akt jedenfalls ereignet sich ausschließlich auf der Leinwand. In die Pause wird der Zuschauer mit einer Vielzahl von Fragen entlassen, vor allem die Rolle des Kalaf betreffend, der wie Timur und Liu optisch aus einer konventionellen Turandot – Inszenierung entlaufen scheint. Nach der Pause fehlt der doppelte Boden. Jetzt konzentriert sich Steier auf die Personenführung, die sie hervorragend beherrscht. Das Duett aus dem gekürzten Alfano-Schluss war selten so spannend zu erleben wie hier. Am Ende, wenn Turandot, jetzt im Marlene-Dietrich-Outfit, mit ihrem Volk versöhnt ist, tritt einer der Statisten herbei und bittet Kalaf um eine Unterschrift, was natürlich Erklärungsmöglichkeiten eröffnet und vermutlich eine kritische Sichtweise auf die Vorgänge der Handlung beglaubigen soll. Es bleibt der Eindruck, dass hier sehr viel gewollt, auch einiges erreicht wurde, sich die Regisseurin in ihrem Spiel der Ebenen aber auch mehrfach verirrt hat.

Das Publikum am Premierenabend focht das nicht an. Es feierte das Spektakel und – durchaus zu Recht – die Sänger, Catherine Fosters sehr bühnenpräsente, souverän ihre hohen Cs schleudernde Turandot wie Martin Muehle, der ein Gänsehaut – „Nessun dorma“ hinlegte und durch sein attraktives, flüssiges Timbre ansprach, das unterhalb des Mezzoforte allerdings deutlich an Kraft und Farbe verliert. Grandios die fantastisch auf Linie gesungene Guanqun Yu als Liu, angenehm entspannt Mika Kares als Timur, umwerfend charmant und hochmusikalisch Wolfgang Stefan Schwaiger, John Heuzenroeder und Martin Koch als Ping, Pang und Pong, deren große Szene, sonst oft ein großer Langweiler, hier als Backstage-Spiel inszeniert zu einem absoluten Höhepunkt geriet.