Molto giocoso
„Finger weg!“ steht auf der geschlossenen Holzkiste, die zu Beginn des Dramas die Bühnenmitte einnimmt. Gut so, denn Don Giovanni will ungestört sein, wenn er sein Liebesabenteuer mit Donna Anna unternimmt - die dabei aber alles andere als freiwillig mitmacht!
Daraus könnte man nun eine Inszenierung stricken, die direkt bezug nimmt auf die aktuelle MeToo-Diskussionen der letzten Wochen und Monate. Tut Regisseur Christian von Götz aber nicht, eher das genaue Gegenteil. Er macht aus Mozarts Don Giovanni das, was sie im Untertitel sein will: ein „Dramma giocoso“, ein heiteres, ein komödiantisches Spiel. Und da zieht von Götz alle Register der „Commedia dell’arte“. Denn als solche Figuren ausstaffiert besiedelt das gesamte Personal schon während der Ouvertüre den Laufsteg vor dem Orchestergraben. In absolut schrillen Kostümen und mit Frisuren, die selbst Promi-Hairstylisten wie Udo Walz und Co. nicht genialer hätten erfinden können. Klares Signal: dies wird ein lustiger Abend, für den die Kostümwerkstatt des Theaters ganze Arbeit geleistet hat!
Zu lachen gibt es wirklich viel. Das fängt schon an bei den mitunter puppenhaften Bewegungen der Protagonisten und auch des Chores. Und es sind immer wieder witzige Regieeinfälle, etwa wenn Masetto auf der Suche nach dem Verführer seiner Braut nicht nur eine Knarre im Anschlag hat sondern auch noch Panzerfäuste, Stöcke, Säbel und dergleichen aus seinem Köcher holt. Und einen Sparschäler! Zur geplanten Hochzeit von Masetto und Zerlina reist die Dorfbevölkerung per Sackhüpfen an - eine Methode der Fortbewegung, die heute wohl nur noch der älteren Generation des Opernpublikums geläufig sein dürfte. Wieder in Mode scheint dagegen das Stricken zu sein, zumindest bei einem speziellen Klientel der aktuellen Gesellschaft. Auch Donna Anna reanimiert diese handwerkliche Kunst, und so darf sich Don Ottavio über zwei schicke gelbe Stulpen mit rotem Herzchen freuen und grinst dabei wie ein Honigkuchenpferd. Nett auch das Sextett nach der Kostüm-Verwandlung von Don Giovanni in Leporello und umgekehrt. Da werden karierte Decken zum Picknick ausgebreitet und es gibt Champagner für die höheren Herrschaften, zwei Pullen Bier für die niederen. Und Ottavio/Anna legen gerade ihren Veggie Day ein, knabbern deshalb an gesundem Gemüse.
Christian von Götz’ „Spaßkonzept“ funktioniert, auch wenn es die tragischen Momente des Don Giovanni vielleicht etwas in den Hintergrund treten lässt. Etwa in der Zeichnung der Donna Elvira, der einzigen wirklich Leidenden und Liebenden, die mit roter XXL-Schleife als Geschenk verpackt wird. Dafür singt Donna Elvira in Form von Kristi Anna Isene mit einem Ausdruck der Tragik, Verzweiflung, Enttäuschung, Hoffnung. Ihr „Mi tradi“ im 2. Akt wird zu einem sängerischen Höhepunkt dieser Inszenierung - wobei sich all ihre Kolleginnen und Kollegen auf ähnlich hohem Niveau bewegen: da ist der großartige Gregor Dalal als Leporello resp. Harlecchino, Stephan Klemm als Komtur, der zwar nicht viel zu singen hat, dies aber mit raumgreifendem Bass tut. Nina Koufochristou besticht im „Non mi dir“ mit sicher und präzis geführten Koloraturen, Youn-Seong Shim als Don Ottavio bekommt „nur“ sein „Il mio tesoro“, legt dorthinein aber allen tenoralen Schmelz. Ein herrlich zueinander passendes Paar sind Kathrin Filip und Christoph Stegemann (Zerlina/Masetto), auch wenn sie in der Oper zwischendurch mal vorübergehend getrennte Wege gehen und Zerlina mit großem Vergnügen huckepack auf Don Giovannis Rücken landet. Die Titelrolle singt Filippo Bettoschi tadellos, mit großer Leichtigkeit und Noblesse. Er darf sich sogar richtig sportlich geben, wenn er hier und da die Szene von einem dicken pendelnden Seil herabschwebend betreten darf. Am Ende steht dann wieder die große Holzkiste auf der Bühne - für ihn! Diesmal allerdings ohne Donna Anna...
Ein turbulenter, bunter Abend also, dem Generalmusikdirektor Golo Berg mit dem Sinfonieorchester Münster auch viel instrumentale Farbe gibt. Das Premierenpublikum gratulierte Orchester, Ensemble und Regieteam mit reichlich Beifall.