In einer verkehrten Welt steht auch die Vernunft Kopf
„Was ihr wollt“ oder „Zwölfte Nacht“ ist eine der verwirrendsten Komödien Shakespeares – ein Spiel der Irrungen, Verkleidungen, Verwechslungen. Die Handlung spielt in Illyrien, einem Ort der Muße. Hier, wo man für die Poesie, das Trinken und die Liebe lebt, geht es kreuz und quer durcheinander, so dass manch einer nicht mehr weiß, woran er ist.
Orsino, Herzog von Illyrien, liebt die Gräfin Olivia, die ihm aber nicht bestimmt ist. Sie ihrerseits verliert ihr Herz an einen Jüngling, der in Wirklichkeit ein verkleidetes Mädchen ist und also ihre Gefühle nicht erwidern kann. Jene Viola, nach einem Schiffbruch gestrandet an Illyriens Küste, trat in Manneskleidern unter dem Namen Cesario den Dienst beim Herzog an, den sie aus tiefstem Herzen liebt.
Die Erlösung und Beglückung der in ihrer Liebe Verwirrten wird ermöglicht durch den verschollenen Zwillingsbruder Violas, Sebastian, der ihr aufs Haar gleicht. Olivia darf ihn statt seiner Schwester nehmen und Orsino, der die so lange Angebetete unwiderruflich verloren hat, kann sich Viola zuwenden, die ihn schon in ihrer Verkleidung stets angezogen hatte. Ein gut gelauntes Schicksal führt also alles zum glücklichen Ende.
Die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit, der Zwiespalt zwischen den nach außen gezeigten Gefühlen und den innerlich empfundenen, zwischen dem, was ein Mensch sagt und dem, was er denkt – das ist das Thema dieser Komödie. „I am not what I am“ – Masken und Verkleidungen sind unerlässlich in dieser Welt, in der alle mehr oder weniger Schauspieler sind.
Ein Narr, Saufbrüder und Spaßmacher ergänzen das Personal. Der trottelige Sir Andrew Bleichenwang hat ein Auge auf Olivia geworfen und wird von Sir Toby Rülps, ihrem Onkel, immer wieder hingehalten und zu Trinkgelagen animiert. Malvolio, Olivias eingebildeter Haushofmeister, hat eine allzu hohe Meinung von sich selbst. Er will mit puritanischer Strenge gegen die losen Sitten im Hause durchgreifen. Die beiden Saufkumpane spielen ihm unter Führung des Kammermädchens Maria einen bösen Streich und machen ihn zum Narren seiner selbst.
Karin Neuhäuser inszenierte Was ihr wollt im Theater an der Ruhr in Mülheim. Die viel gelobte Produktion wurde zum NRW-Theatertreffen 2012 in Oberhausen eingeladen.
Gralf-Edzard Hobbens Bühne wird dominiert von einem sternenübersäten blauen Abendhimmel mit Vollmond. Eine Backsteinmauer grenzt die Spielfläche nach hinten ab. „Illyrien“ steht in blauen Neonlettern an ihr. Im Vordergrund laufen zwei Schienenstränge aufeinander zu und enden blind. Ein Bild für die oft ins Leere laufenden Emotionen der Bewohner Illyriens? Ein Pianist spielt melancholische Lieder („Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter“, sagt Orsino). Eine Badewanne mit der Aufschrift „In Vino Veritas“ steht für des Meeres Fluten. Ein irrealer Kosmos der Träume, Sehnsüchte und geplatzten Illusionen. Nicht ohne Grund bröckelt die blaue Schrift ab, so dass am Ende nur „rien“ bleibt.
Volker Roos gibt einen hinreißend trockenen Narren. Er sitzt als Beobachter und Kommentator auf der Mauer. Mit offenem weißen Mantel, rasierten Beinen und rot geschminkten Lippen erinnert er an einen Transvestiten. Cool-ironisch seine Bemerkungen: „Ich bin jetzt ein älterer Mann und mache was mir gefällt“ oder „Wenn man bis zum Kopf in der Scheiße steckt, soll man ihn nicht hängen lassen“. Er singt nur für Geld, aber seine Chansons berühren durch ihre Gefühle und lassen an Georgette Dee denken. Wenn der Narr sagt „Identität ist ja sowieso etwas hoffnungslos Instabiles“, zielt er ins Schwarze. Simone Thoma, eine ältere Olivia, greift im Liebeswahn zu Perücken und Marilyn-Monroe-Kostüm und haucht deren berühmtes „Schubidu“ ins Mikro. Ein treffendes Bild gegen den Jugendwahn, heute aktueller denn je. Klaus Herzogs Bleichenwang erinnert optisch an Andy Warhol. Unbeholfen seine Versuche, sich durchzusetzen und ein Mann zu sein. Komisch-tragisch, weil seine Einsamkeit allzu klar wird („Mich fand auch schon mal jemand gut“). Neuhäuser inszenierte auch die Nebenrollen liebevoll genau – auch sie wie ihre Herrschaften auf der Suche nach der Erfüllung in der Liebe. Steffen Reuber spielt Malvolio mit norddeutschem Akzent. Und glänzt in der Rolle des pingeligen, selbstgefälligen Haushofmeisters.
Ein überaus unterhaltsamer Abend mit glänzend aufgelegten Schauspielern – durchaus mit Tiefgang und viel Lebenserfahrung. Der Narr fasst es treffend zusammen: „Wenn das Herz denken könnte, stünde es still“.
Herzlicher Applaus und Bravi bei der Oberhausener Aufführung.