„Was verstehst Du unter Gott?“ „Zehntausend Mark“
1969 wurde Horvárths bitterböse Komödie Zur schönen Aussicht in Graz uraufgeführt. Die Handlung spielt in dem heruntergekommenen Hotel gleichen Namens, der jedoch mehr verspricht, als er zu halten vermag. Vorbild für diesen Ort der Hoffnungslosigkeit – wenn auch mit schöner Aussicht in die Landschaft – war eine windige Pension in Murnau, wo die Horvárths seit 1924 ihr Landhaus hatten. Eine Art Geheimtipp für verkrachte Existenzen, eine Tauchstation mit Gebirgspanorama.
Zum Personal dieses Etablissements gehören der Hotelier Strasser, ein gescheiterter Schauspieler, der seine Freunde, den korrupten Max und den vorbestraften Karl als Kellner und Chauffeur eingestellt hat. Ada von Stetten, eine reiche alternde Adlige, ist der einzige Gast. Sie verkörpert die alte, zum Untergang bestimmte Welt. Sie erkauft sich mit ihrem Geld die drei Männer, frönt dabei ihren Machtgelüsten und versucht, ihre Torschlusspanik vor dem Alter krampfhaft zu verleugnen. In die eingefahrenen Bahnen dieses Quartetts dringt der nationalistische Sektvertreter Müller ein, der alte Schulden Strassers eintreiben will. Emanuel von Stetten, Adas Zwillingsbruder, bürgte mit seinem Ehrenwort für eine Spielschuld, die er nicht bezahlen kann. Nun will er seine Schwester anpumpen. Und schließlich ist da Christine, deren kurzfristige Liaison im letzten Sommer mit Strasser nicht ohne Folgen blieb. Um mögliche Forderungen ihrerseits zu vereiteln, schließen sich die Männer in bewährtem Hordenverhalten zusammen und behaupten, alle mit ihr geschlafen zu haben. Die Lage ändert sich schlagartig, als Christine von einer großen Erbschaft berichtet.
Horvárth zeichnet ein deprimierendes Bild der kapitalistischen Gesellschaft, in der Liebe (sofern sie nicht käuflich ist), Freundschaft und Hilfsbereitschaft keinen Platz haben. Ada fällt aus dem Rahmen, da sie ein Verhalten zeigt, was als normal unter Männern gilt: sie kauft die Männer bzw. diese prostituieren sich. Christine steht zu ihren Gefühlen. Wobei Gefühle zeigen bei Horvárth Schwäche zeigen heißt.
Martin Kloepfer inszenierte mit Zur schönen Aussicht seine dritte Arbeit an den Wuppertaler Bühnen – nach Borges’ Die Lotterie in Babylon und Sartres Caligula.
Die Bühne zeigt eine triste Wirtsstube mit Resopalcharme und altmodischer Möblierung. Grandios der Ausblick durch große Fenster auf ein Alpenpanorama.
Thomas Braus (Max) und Heisam Abbas (Karl) geben penetrant-unangenehm das opportunistische Domestikenduo. Holger Kraft überzeugt als intriganter, verantwortungsloser Strasser, de übergangslos die Positionen wechselt, je nach scheinbar eigenem Vorteil. Sophie Basse glaubt man die Frau, die sich Männer kauft, um sich damit den Anschein von Leben vorzugaukeln, die Illusion, noch zu „zählen“.
Ferner spielen mit: Anne-Catherine Stuber (Christine), Marco Wohlwend (Emanuel von Stetten) und Hendrik Vogt (Müller).
Der Abend in Wuppertal zeichnet sich zum Teil durch eindrucksvolle Bilder aus. So korreliert die miefige Pensionsszenerie wunderbar mit der (moralischen) Verwahrlosung ihrer Bewohner. Die Schönheit der Natur, verdeutlicht durch Einspielung von Videos, ist ein guter Kontrast. Dennoch geht man seltsam unberührt heim – obwohl doch die Reduktion zwischenmenschlicher Beziehungen auf Koalitionen und Komplizenschaften ohne jegliche tiefere Bindung oder Verpflichtung zutiefst deprimierend ist.