Von Wünschen, Waffeln und Wunderparks
Fast 150 Jahre nachdem Lewis Carroll seine Alice im Wunderland verfasste, hat der Musiker und Regisseur Schorsch Kamerun daraus seine eigene Version gestrickt - unter dem Titel Alle im Wunderland. Gut neunzig Minuten geht es auf der Bühne zu wie bei einem Pfarrfest oder einem Sommerfest im Schrebergarten. Das Theater mutiert zu einem „Wunderpark“, in dem gut zwei Dutzend Laienschauspieler und vier Profidarsteller von teilweise grotesk-greller Live-Musik begleitet irgendwas anstellen.
Während ganz rechts auf der Bühne eine Planungsgruppe große Papiere an die Wand kleistert, gibt es in einer Gummibaum- und Palmen-Plantage ein paar gießende Gärtner, zwei Frauen erschöpfen sich als Dauer-Strickerinnen, eine Gruppe junger Mädchen räkelt sich in unterschiedlichsten Gewändern und zwei Tüftler haben eine Art Gewächshaus aufgebaut, durch das verschiedene Mitspieler auf einem Rollbrett hindurchgleiten. Am allerbesten aber ist der Tisch ganz links auf der Bühne, wo zwei schweigsame ältere Herren auf einem Klapptisch Kaffeekannen aufgebaut haben und unentwegt Waffeln backen.
Spätestens nach 45 Minuten hat jeder im Publikum das unstillbare Verlangen, nach vorne zu gehen und eine der frischen, duftenden Waffeln zu bestellen. Theater für die Sinne, zumindest für die Nase ist das. Aber auch nicht wirklich sehr viel mehr. Es geht um Selbstverwirklichung, um Zeiträuber, die wir ja alle spätestens seit Momo kennen und um einen cleveren Marketing-Gag, mit einem „Wunderland“ den Leuten vorzugaukeln, dass sie tatsächlich frei sind, das zu tun, was sie schon immer haben tun wollen. Voraussetzung ist natürlich ein gewisser Eintrittspreis.
Im Untertitel heißt das Stück „Theatrales Bürger-Konzert nach Motiven von Lewis Carroll“. Kameruns Alice heißt hier Brandy (Manja Kuhl), Anja Schweitzer spielt ein „Medium“ im Wunderpark. Sergej Lubic ist der Zeitpresser und Eike Weinreich gibt den „Könner“, der immer mal wieder Mut auf die Wunderland-Bewohner zugeht und ihnen Mut macht. Natürlich gibt es auch wieder ein bisschen Lokalkolorit im Kamerunschen Wunderland. Da ist die Rede davon, dass man eine Einkaufsstraße veröden lässt, um draußen auf der grünen Wiese ein gewaltiges Shopping-Center zu betreiben.
Es geht um den örtlichen Fußballclub und natürlich auch um die Finanzen der hochverschuldeten Kommune. „Wenn Silvester fällt auf den 1. Mai, dann ist Oberhausen schuldenfrei“, heißt es in einem Ohrwurm-Song. Und zumindest der Refrain könnte Kultstatus in der Reviermetropole bekommen. Ganz am Ende des ziemlich lang wirkenden Theaterabends kommt dann nochmal ein wenig Jugendclub-Atmosphäre auf die Bühne. Wenn eine Handvoll der Laien-Darsteller vor einem eingespielten Video und vor einer Bluescreen-Wand endlich mal das vorspielen, was sie noch nie geschafft haben. Einer trainiert da Rot-Weiß, einer spielt Free-Jazz, ein anderer geht endlich mal zum Geburtstag von Tante Helga und eine ältere Dame mimt eine Raumfahrerin in der ISS-Station.
Ein schräger und schriller Theaterabend, bei dem das Premierenpublikum nicht wirklich wusste, warum er auf die Bühne musste. Entsprechend unsicher war der Beifall. Und leider gab’s am Ende nicht einmal Waffeln in der Theater-Bar. Aber das könnte man ja immer noch einführen.