Keine leichte Kost
Nur die grün beleuchteten Notausgangsschilder sieht man in der totalen Finsternis des oftmals lichtdurchfluteten Orangerietheaters; eine an diesem Ort gänzlich ungewohnte Situation. Vor der verkleinerten Zuschauertribüne sind rechts und links schwarze Vorhänge hochgezogen, die kleine Guckkastenbühne ist ebenfalls ringsum schwarz abgehängt. Gespielt wird die Hamletmaschine, ein Stück, welches der DDR-Autor Heiner Müller 1977 anlässlich seiner Hamlet-Übersetzung aus dem Originaltext extrahierte. Dem Vernehmen nach sein schwärzestes Stück - da passen die Vorhänge ja bestens. Gefühlte Minuten bleibt es dunkel, bis ein zarter Spot eine Person aus dem Dunkel holt; dazu klappert eine alte Schreibmaschine schier endlose Texte. Der Mann „war Hamlet, mein Drama findet nicht mehr statt“, wie er selbst einen langen Monolog beginnt, entschleunigt und mit einer Stimme, die frösteln lässt. Ein ausgebildeter Sänger könnte er sein, Bariton. Dann Spot auf der anderen Seite: Eine Frau, hellblonde Perücke: „Ich bin Ophelia“. Da prallen zwei Zeiten aufeinander. Müller hat in fünf Teilen und auf nur sieben Seiten ein Konglomerat aus völlig unterschiedlichen Textfragmenten, Zitaten und Prosateilen zusammengestellt, auf den ersten Blick kaum ohne inneren Zusammenhang. Aber mit teuflischer Lust auf Zerstörung, auf Schrecken, auf Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Da wird geprügelt, gemordet, Pulsadern werden aufgeschnitten, Kleider getauscht, Köpfe gespalten, Häuser und Inventar zerstört. Und gar vorgeschlagen, die Weiber zuzunähen.
Der in der zunächst DDR erfolgreiche Heiner Müller war im Krieg verschüttet worden und litt unter einem massiven Kriegstrauma; er fiel 1961 auf Grund seines Theaterstücks Die Umsiedlerin in Ungnade, seine Frau nahm sich danach das Leben. Die Hamletmaschine enthält zahlreiche autobiografische Details, so auch aus der Todesanzeige für seine Frau und seine Abrechnung mit dem Regime. Und vielleicht auch einen Ansatz, um die eigenen Probleme und Schwierigkeiten dadurch abzubauen.
Das Stück will die Unmöglichkeit von Hoffnung herauskristallisieren, indem das Hamlet-Drama gar nicht stattfindet. Hamlet will die sterbende Welt ohne gebärende Mütter und sein eigenes Leben ungeschehen machen, er will nicht mehr mitspielen, sich zurückziehen, seinen Racheauftrag verweigern. Auch Ophelia (ganz hervorragend: Lara Pietjou) hasst das Leben, sie will allen empfangenen Samen wieder ausstoßen und das Leben, welches sie geboren hat, zurücknehmen. Wähnt sich im Anflug von Wahn gar als Elektra und will so ihre Rachegelüste ausleben. Der Regisseur Tomasso Tessitori, der auch selbst souverän den Hamlet spielt, hat das zeitlose Stück, welches so gut wie keine Handlung hat, aber dafür intensive Diskussionen aufweist mit Anspucken und Ohrfeigen für Hamlet, noch weiter abgespeckt. Zahlreiche Anmerkungen Müllers im Text (stumme Nebenfiguren, Ophelia im Rollstuhl, Zerreißen des Autorenfotos, Spalten der Köpfe von Mao, Lenin und Marx, das Ballett der toten Frauen etc.) sind weggelassen. Stattdessen hat Christian Keinstar interessant fließende Skulpturen aus dicker Bleifolie geschaffen, mit wellig gefalteten Oberflächen und einer umlaufenden Beleuchtung, die anfangs hohl auf der Bühne stehen und später als Panzer und Statue für Ophelia und Hamlet dienen.
Wie in einer Endlosschleife wird Müllers gesamter Text mehrfach wiederholt, immer stärker gerafft und immer zügiger. Und wird auch über einen großen Bildschirm von den beiden Protagonisten über quälend lange Zeit kontinuierlich wiederholt, bis man ihn auswendig mitsprechen könnte. Wahrlich keine leichte Theaterkost, ein schockierend leeres Endzeitstück mit vielen zunächst schwer nachvollziehbaren Assoziationen und Perspektivenwechseln. Da muss man schon fit sein in der klassischen Literatur.
Das Publikum im ausverkauften Haus saß eine lange Stunde gebannt und immer stärker angespannt ob der intensiven Inszenierung, die dann umso ausgiebiger bejubelt werden konnte. „Wenn Elektra mit Fleischermessern durch Eure Schlafzimmer geht, werdet Ihr die Wahrheit wissen“; das bleibt nachhaltig hängen.