Übrigens …

Pardon wird nicht gegeben im Köln, Schauspiel

Die Masse ist ein trauriges Kapitel

Sein Roman „Berlin Alexanderplatz“, 1929 erschienen, hat ihn berühmt gemacht. Den 1878 in Stettin geborenen deutschen Juden Alfred Döblin, der 1933 über Zürich nach Paris floh. Wenig später erschien sein Roman Pardon wird nicht gegeben. Es wurde ein Misserfolg, der bis heute anhält.

Nun machte sich der österreichische Autor Eberhard Petschinka, der nur mit seinem Nachnamen im Programm-Heft auftaucht, daran, mit einer Bühnenfassung den sehr autobiografischen Roman Döblins ins Bewusstsein zu heben. Am Kölner Schauspiel brachte Rafael Sanchez sie als Erstaufführung heraus. Sie wurde, gute drei Stunden lang, zu einem großen Publikumserfolg. Zurecht, schöpft die Regie, bestens unterstützt durch Videos und Live-Kameras, die die Wände des riesigen offenen Spielraums zum passenden Rahmen des Schau-Spiels machen, doch aus dem Vollen. Bildkraft fast cinematographischen Ausmaßes begleitet das Leben und Scheitern einer Familie in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Arm sind sie, bettelarm. Mama (Lola Klamroth) und ihre drei Kinder: Karl (Simon Kirsch), der kleine Erich (Justus Maier) und die noch kleinere Marie. Papa hat alles versoffen - und ist auf und davon. Hart und unerbittlich scheint die Mama - und will sich wenig später das Leben leben. Die Kinder retten sie, lieben ihre Härte, ihren geradezu verkrampften Zwang, die Familie zusammenzuhalten. Es wird ihr nicht gelingen.

Karl ist der erste, der ausbricht. Der 16-Jährige, arbeitslos und aggressiv, „will weg“. „Ich muss gehen“ drängt er die Mutter - und herzt und küsst sie dabei. Raus will er aus dem Schlamassel, in dem so viele in der Großstadt Anfang der Dreißigerjahre stecken. Da fällt er Paul in die revolutionären Arme. Auch kein Weg, die Misere zu beenden.

Erst Onkel Karl (Martin Reinke), Chef einer Möbelfabrik, stellt ihn auf sichere Füße. Karl schafft es vom Lehrling bis zum Chef - und wird zu einem jener Großkopfeten, die Paul und er einst als Feinde bekämpften. Zudem heiratet er Julie (Ines Marie Westernströer), die wenig später aus der Ehe, die sie „museales Gefängnis“ nennt, ausbricht. Karl verliert sich in Kneipen und Bordellen. Ehe er, des Kampfes müde, zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Völlig kaputt ist freilich, was das Stück vor allem thematisiert, die „Festung Familie“. Doch auch die „Masse ist ein trauriges Kapitel“: Nichts bietet wirklich die von allen ersehnte Sicherheit. Zumal die Ehekrise und der heraufziehende wirtschaftliche Niedergang parallel verlaufen.

Sanchez‘ Inszenierung, die nie Arm gegen Reich, Kapitalismus gegen Sozialismus ausspielt, ist von großer Bild- wie Sprachkraft. Die Größe des Raums, selbst die fast permanent laufenden Filmstreifen aus den dreißiger Jahren und per Video-Kameras riesig vergrößerten Gesichter, drängen die traurig-tragische Familien- und Wirtschaftsgeschichte nicht in den Hintergrund. Im Gegenteil: Je mehr Öffentlichkeit auf den Leinwänden erscheint, desto zupackender und emotional ansprechender sind die Familienszenen und Momente einsamer Verzweiflung.

Dabei gibt es hinreißend zarte Szenen. Ob zwischen den Kindern und der Mutter, ob zwischen Karl und seiner die Ehe fliehenden Julie. Gefühle abseits jeder Gefühlsduselei. Getragen sind sie von dem mitreißend agierenden Septett, an deren Spitze Simon Kirsch als Karl und Martin Reinke als Erzähler und Karls reicher Onkel. Es sind immer wieder Szenen großer Menschlichkeit.