Vergangenheit und Gegenwart im Lehrerzimmer
Mein Gott, wie sind sie uns allen aus der Schulzeit vertraut, diese Typen von Lehrer*innen, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert zu haben scheinen. Da ist Herr Engelhardt, der Lateinlehrer, der sich über viele Jahre ein Benotungssystem aufgebaut hat. Das hält er für gerecht und ist nicht bereit, einen Millimeter davon abzuweichen. Oder Frau Lohmann, die „Hochkultur“ als das Maß der Dinge predigt: Schubert-Lieder muss man kennen, ansonsten aber lehnt sie jeglichen Erziehungsauftrag ab. Dafür sind die Eltern zuständig. Dann ist da noch der naturwissenschaftliche Nerd, Herr Vogel, in Birkenstock-Sandalen und jeglicher Kommunikation abhold. Herr Arndt ist eloquent und durchaus bereit, Neues zu wagen. Das gilt auch für die aufgeschlossene Referendarin Frau Schuster. Komplettiert wird die Lehrerzimmerrunde durch Herrn Mertens, den Sportlehrer, der versucht, durch kumpelhaftes Gehabe bei den Schüler*innen zu punkten. Diese uns allen sattsam bekannte Konstellation von Menschen sitzt also kurz vor dem Wochenende zusammen. Die Konversation ist geprägt von kollegialen Flachsereien und auch unterschwelliger Aggression. Business as usual also.
Doch dann wird alles anderes. Der Vater eines Schülers will Auskunft darüber, weshalb Herr Engelhardt seinem Sohn einen Punkt verweigert hat, der diesem zur Zulassung zum Abitur fehlt. Die Situation eskaliert und wird zur handfesten Geiselnahme. Der Vater, Gregor Eckert als Manfred Prohaska, ist wahrlich kein Helikopter-Elternteil, das eh‘ alles besser weiß. Nein, er ist ehrlich bemüht, seinem Sohn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Eckert macht den Angstschweiß quasi erfahrbar, der ob dieser ihm selbst unbegreiflichen Tat in Strömen rinnt.
Da sind sie also eingeschlossen, diese Lehrer*innentypen und nach kurzer Zeit stürzen die jahrelang aufgebauten Fassaden zusammen: Jede*r nämlich hat „Dreck am Stecken“ und sich gegen die Usancen des Miteinanders an einer Schule vergangen.
Jan Weilers Eingeschlossene Gesellschaft erschien zunächst als Hörspiel und wurde dann von Sönke Wortmann verfilmt. Nun also die Uraufführung der Theaterfassung im Wolfgang-Borchert-Theater in Münster: Weilers zugespitzte Dialoge lassen niemanden kalt. Weil Alle diese Menschen zu kennen glauben, gehen alle mit. Vom verhaltenen Kichern, über Gepruste entlockt es jedem*r eine Reaktion, die sich auch in lauthalsem Lachen entlädt.
Dieser Text ist eine Steilvorlage für alle Ausführenden. Annette Wolf schafft eine Kulisse mit einem Vorhang, der ein Original-Lehrer*innenzimmer der siebziger oder achtziger Jahre abbildet. Da fühlen sich viele Menschen sicher „heimisch“. Vor diesem Hintergrund hat es Regisseurin Tanja Weidner leicht. Sie muss nur ihren Protagonist*innen genug Freiraum geben, um sich in den Dialogen zu entfalten. Das tut sie, hat in ihrer bekannten, sorgsamen Art aber jederzeit ein Auge darauf, dass es nie hektisch oder überkandidelt wird. Weidner hält die Zügel in der Hand, auch wenn sie keine entwickelnden Charaktere betreuen muss.
Meinhard Zanger ist der großartige Pedant, der sorgsam darauf bedacht ist, dass ihm kein Zacken aus der Krone bricht. Als er merkt, dass das nicht möglich ist, bricht er zusammen. Ivana Langmajer ist frustriert vom Alltag, flüchtet sich in Träume und klammert sich an ein scheinbar überkommenes Bildungsideal. Das gestaltet sie wunderbar. Das Gegenbild - eine emanzipierte Frau - bildet Rosana Cleve ab. Köstlich Florian Bender als Chemie-Nerd, der sofort maximales Mitleid evoziert. Alessandro Scheurer als herrlich testosterongesteuerter Macho, den er bullig-selbstherrlich gibt, geht im Laufe des Abends eine ganze Batterie von Lichtern auf. Mit einem derartig in Spiellaune agierenden Ensemble hat es Tanja Weidner nicht schwer, einen rundherum gelungenen Theaterabend zu gestalten, der mit einem „Knalleffekt“ endet. Das Publikum ist zurecht aus dem Häuschen.
In Münster läuft viel über Mundpropaganda. Die sollte dafür sorgen, dass Eingeschlossene Gesellschaft zu einem Renner wird. Zumal man nach der Vorstellung bei einem Wein oder einem Bier so herrlich in Erinnerungen schwelgen kann: „Ich weiß noch wie Herr/Frau damals...“