Weltuntergang mit Slapstick
Zeitlose Texte eröffnen die Möglichkeit, sie auch in quasi jede Zeit zu setzen. Was, wenn die Welt also nicht heute oder erst morgen untergeht, sondern bereits längst untergegangen ist? Samuel Becketts Apokalypse funktioniert zu jeder Zeit, wieso also nicht im 18. Jahrhundert?
Dass Becketts Endspiel den Zeitgeist auch fast 70 Jahre nach seiner Entstehung trifft, zeigt, in wie vielen Spielplänen der Einakter des Nobelpreisträgers in dieser Spielzeit wieder zu finden ist. Die Handlung ist vielen mittlerweile bekannt: In einem kargen Unterschlupf lebt der blinde und gelähmte Hamm zusammen mit seinem Diener Clov und seinen Eltern Nell und Nagg, die nach einem Unfall ihre Beine verloren haben und seitdem von ihrem Sohn in Mülltonnen verbannt wurden. Zwischen Abhängigkeit, Machtspielen und verdrängten Erinnerungen kreist ihr Zusammenleben um das Ausbleiben des unausweichlichen Endes und um den Wunsch, es zugleich herbeizuführen. Beckett zeichnet damit ein abstraktes, aber nicht minder prägnantes Bild der menschlichen Psyche, welches durch das Zusammenspiel aus Absurdität und Authentizität in besonders nachdrücklicher Weise Wirkung entfaltet.
Regisseur Henner Kallmeyer setzt seine Inszenierung in einen passend abstrakten Raum, der frei auf der Bühne zu schweben scheint. Von der Decke hängen als Fenster zwei schlichte Rahmen. Gefüllt wird die Leere von den beiden Hauptdarstellern Thomas Braus als Hamm und Kevin Wilke als Clov. In barocke Mode gehüllt scheint die Welt schon seit langer Zeit untergegangen zu sein und doch frönt das ungleiche Duo in trotziger Geselligkeit ihren pedantisch verinnerlichten Routinen.
Dabei ergründen sie sowohl zunehmend die Beziehung zueinander, als auch ihre eigene Identität und deren voranschreitenden Verfall. Die Inszenierung setzt einen besonderen Fokus auf die Dynamik zwischen Hamm und Clov und streicht dafür die Figuren Nell und Nagg fast gänzlich. In der einzigen Szene, in welcher sie als zwei vertonte Kasperle-Puppen aus ihren Mülltonnen gehoben werden, fungieren sie nur, um einen Witz zu erzählen, über den niemand lachen kann. Und doch soll in Henner Kallmeyers Inszenierung gelacht werden, das Mittel zum Zweck ist dabei aber nicht Becketts scharfe und ironische Sprache, sondern repetitiver Slapstick. À la Dinner for One entstehen die beabsichtigt lustigen Pointen aus wiederholtem Stolpern an derselben Stelle oder dem Besteigen einer stets falsch ausgerichteten Leiter. Dieses Maß an aufgesetzter Komik wirkt in Anbetracht der Düsternis des Werks, sowie Becketts eigenem klugen Witz aber nicht nur deplatziert, sondern entfaltet auch beim Publikum nahezu keine Wirkung.
Nicht nur die Entscheidung für affektierten, aber sehr vordergründigen Slapstick-Humor, sondern auch die stark gekürzte Textfassung erweist sich für die Inszenierung als wenig förderlich. Das besondere Augenmerk auf die Dynamik zwischen Hamm und Clov zu legen, ist zunächst eine gute Idee, dabei nahezu alle Szenen mit Nell und Nagg zu streichen hingegen ein eklatanter Fehlgriff - sind es doch insbesondere diese Szenen, die gerade Hamms Verhalten, Intention und Persönlichkeitsstruktur aufschlüsseln und erst zu einer besonderen Authentizität beitragen. Ohne sie wirkt die Figur schlicht absurd und beinahe flach, ein Bild, das zusätzlich durch den übermäßigen und unpassenden Einsatz von gewollt witzigen Elementen nur noch verstärkt wird. Bei einem Stück, das insbesondere durch die Psychologie schwieriger Figuren getragen wird, führen solche Entscheidungen verheerenderweise dazu, dass nicht nur die Stärke der Handlung auf Unverständnis stößt, sondern darüber hinaus auch für niemanden eine Katharsis sinnvoll erlebbar wird.
Und das, obwohl es der Inszenierung nicht an klugen Ideen mangelt. Das Geschehnis in einen sehr abstrakten Raum zu setzen und durch die barocken Kostüme von Silke Rekort in eine frühere Zeit zu setzen, stellt ein spannendes Konzept dar. Die Welt hätte längst untergegangen sein können, aber welchen Unterschied macht das bei all den komplexen Problemen, die sich in Extremsituationen in zwischenmenschlichen Beziehungen und in einem selbst auftun. Schauspielerisch werden diese Ideen auch getragen, so rückt sich Thomas Braus als Hamm in stressigen Situationen manieriert erst immer wieder die Perücke zurecht, bevor er sich dem Problem wirklich widmen kann. Leider bleibt es nur bei diesen Impulsen, ein anhaltendes Konzept mit rotem Faden zieht sich nicht durch die Inszenierung. Selbst mit noch abstrakterer Herangehensweise, wie dem Ansatz des Meta-Theaters, der sich bei genauer Lektüre des Einakters durchaus anbietet, stellt sich kein stringentes Konzept ein. Mit Aussagen wie “Jetzt spiele ich!”, “Ich trete ab!” und “Ich rüste mich zum letzten Monolog!”, liegt die Interpretation nahe, die Figuren wüssten von ihrem Schicksal als Schauspieler, die auf groteske Weise beobachtet werden. Diesen Gedanken nicht abstrakt, sondern konkret darzustellen, wirkt zunächst auch wie eine originelle Idee. Henner Kallmeyers Inszenierung bietet dafür aber ebenfalls keine überzeugenden und stimmigen Anhaltspunkte. Wer glaubt, dass es reiche, die Figuren in “typische” Bühnenkostüme zu stecken, zeugt wohl eher von einem antiquierten Blick auf das Theater.
Insgesamt lassen sich im Endspiel im Schauspiel Wuppertal zwar diverse kreative Ideen und Interpretationsansätze finden, leider mündet aber keiner dieser Impulse in ein tragfähiges Konzept, sodass die Inszenierung den Inhalten und Aussagen des Stücks letztlich nicht gerecht wird: Im Gegenteil, der Abend verrennt sich in eine affektiert komödiantische Richtung, die durch ihre zusätzlich stark gekürzte Fassung die Essenz der Figuren und damit des gesamten Werks verkennt und in erster Linie überfordert wirkt.