Literaturballett nach Ausdruckstanz
Nach 16 Jahren poesievollen, emotionellen Ausdruckstanzes von Daniel Goldin ist der Wechsel zu Hans Henning Paars handfestem Tanztheater erwartungsgemäß krass. Mit Macbeth nach Shakespeares Tragödie gab der gebürtige Kasselaner seine Visitenkarte ab. Es ist die dritte Shakespeare-Choreografie des 47-Jährigen, der vorher Ballettchef in seiner Heimatstadt, in Braunschweig und an Münchens Theater am Gärtnerplatz war. Eine vierte wird mit dem Sommernachtstraum folgen. Das Literaturballett steht also vorerst im Vordergrund.
Auf vierzehn der im Original 26 Szenen reduziert Paar das blutrünstige Königsdrama. Nur 75 düstere Minuten dauert es im kunstgewerblich abstrakten Ambiente von Anna Siegrot. Schwarze Vorhänge heben und senken sich. Reihen von Hartgummistäben gleiten lautlos vom Schnürboden auf die leere Spielfläche, changieren in bunten Farben. Anfangs sind sie wie Preis-Strichcodes angeordnet, später markieren sie den immer enger werdenden Lebensraum des mörderischen Paares, schließlich den „wandernden Wald“ des Malcolm-Heeres. Alle – Heerführer und Soldaten, Königsfamilien und Hofstaat, Kinder und Hunde - tragen schwarze Kleidung. Selbst die kurzen Schottenröckchen zu den Schnürstiefeln haben keine farbigen Karos. Auch Accessoires und Requisiten sind spärlich. Die Mörder tragen Schiebermützen, König Duncan ein putziges Alufolie-glänzendes Krönchen um die Stirn, als er zum Besuch in Schloss Inverness auf hohem Thron hereingefahren wird. Silbern blitzt das Messer in Macbeths Hand. Nur die drei Hexen heben sich ab in ihren wallenden Ballkleidern, die sie wie die zotteligen Rastazöpfe ordentlich schwenken. Aber wirklich furchteinflößend sind sie ebenso wenig wie das viele hellrote Theaterblut, mit dem allenthalben hantiert wird.
Cornelius Mickel ist ganz der zaudernde Möchte-gern-König, den Shakespeare bescheiden behaupten lässt: „Will das Schicksal mich als König, nun, mag mich das Schicksal krönen, doch ohne mein Zutun“. Dass er da die Rechnung ohne sein ehrgeiziges Weib gemacht hat, ist hinlänglich bekannt. Die Japanerin Ako Nakamone gibt sich vom ersten Auftritt an als eiskalte Lady Macbeth und darf ihre ebenmäßigen Rippenbögen unter dem knappen BH ausführlich zur Schau stellen. Aber sie kann viel mehr als so im aufgeknöpften Hosenanzug posieren. Sie lässt alle anderen tanztechnisch und mit ausdrucksstarker Bühnenpräsenz weit hinter sich. Als wahnsinnige Lady allerdings hält sie der Choreograf diskret zurück, um dem Gatten den großen Tod zu gönnen.
Die Personen und Charaktere lassen sich nur schwer unterscheiden, wenn sie kämpfen, morden, Tango tanzen. Viel zu edel ist das alles, harmlos und beliebig. Viel zu viel wird im Zeitlupentempo getanzt und mitunter mit enervierender Gleichförmigkeit, wie auch die vorwiegend minimalistische Musik klingt. Alles wie aus einem Guss, ließe sich folgern. Nur leider blieb das Drama dabei auf der Strecke. Kaum nachzuvollziehen ist Paars aktueller Bezug zur „politischen Landschaft Syriens und Afrikas“ mit den „erschreckenden Bildern von Diktatoren, die auf Kosten ihres Volkes unbeirrt ihre eigenen Ziele verfolgen“, so Münsters neuer Tanztheater-Chef im Programmheft über seine Inszenierung. Den Zuschauern, vielfach Shakespeare-gestählt in den Sparten Oper und Schauspiel in der vorigen Saison, schien’s einerlei. Das Premierenpublikum jedenfalls zeigte sich hellauf begeistert. Es feierte das neue Ensemble und auch die tapferen Musiker des Sinfonieorchesters Münster unter dem umsichtigen Thorsten Schmid-Kapfenburg stürmisch.