Übrigens …

Der Traum der roten Kammer im Dortmund, Oper

Chinesischer Spitzentanz

Xin Peng Wang, seit zehn Jahren Ballettdirektor in Dortmund, hat sich im deutsch-chinesischen Kulturjahr einen lang gehegten Wunsch erfüllt und als Co-Produktion mit dem Hong Kong Ballet Chinas Nationalepos Der Traum der roten Kammer auf die Bühne gebracht. Christian Baier hat aus den 120 (!) Kapiteln des äußerst vielschichtigen Romans aus dem 18. Jahrhundert über den Aufstieg und Fall einer Adelsfamilie während der Ming-Dynastie die drei markantesten (von 700!) Personen und ihr Schicksal gefiltert, das - wenn auch durchwoben mit fernöstlicher Etikette, Lebensart und Philosophie - in unserem Kulturkreis nachvollziehbar ist. Im Fokus steht die Dreiecksliebesgeschichte zwischen dem letzten, unnützen Spross der Familie Kia, Pao Yü (Mark Radjapov), seiner Cousine und Geliebten Lin Dai Yü (Monica Fotescu-Uta) und der ihm aufgezwungenen Braut Pao Tschai (Risa Tateishi).

An nichts wurde gespart, was Auge und Ohr betören kann: die Ausstattung prunkt mit allen Facetten chinesischer Farb- und Formensymbolik. Nebelschwaden, diffuse Lichtbündel und Wolkengebirge heben sich mit dramatischem Effekt gegen poesievolle Landschaftsmalerei auf den Vorhängen ab. Videoprojektionen auf der bröckelnden Palastmauer spannen den Bogen von archaischen Machtsymbolen des Kaiserreichs wie Drachen und Löwen bis zu Bildern moderner Diktaturen, wo "das Schöne" nur mehr auf kommerziellen Modenschauen Platz findet.

Zwischen den überdimensionalen roten Säulen und Portalen (zur roten Kammer und im Palast) wirken die graziösen Prinzessinnen und Prinzen in hauchdünnem Chiffon und üppiger Seide delikat, die peitschenschwingenden Ordnungshüter und Soldaten, der furchterregende Zeremonienmeister (Howard Quntero Lopez) und die hoheitsvolle "Ahne" Tai-Tai (Miranda Bodenhöfer) mächtig und machtbesessen. Die exzellent gespielte Musikcollage changiert zwischen minimalistischer Kammermusik und an Kitsch grenzenden Soundtrack von Michael Nyman. Der neoklassische Tanz auf Spitze der durchweg superben Compagnie wird gebrochen durch feinstes chinesisches Hand- und Fingerspiel, einstudiert von Shao Weiqiu.

Märchenhaft und mysteriös muten Prolog und Epilog an. Graue Gebilde liegen und schweben zu Neymans Trommel- und Glockenspiel zu Beginn im halbdunklen Raum: Steine der 36 501 Himmelspfosten. Eins der Gebilde zerfällt in sieben Gestalten, die tanzend ihr eigenes Leben beginnen. Zurück bleibt schließlich der Stein (Sergio Carecci), der Pao Yü durchs Leben begleiten wird.

In den prächtigen Gärten der Adligenfamilie Kia tummelt sich scheu Lin Dai Yü, in den sich der junge Sohn des Hauses Pao Yü verliebt. Als mitten im Winter ein Kirschbaum zu blühen beginnt - ein Omen für Unglück - erschrecken beide. Doch die Herrscherin, Ahne Tai Tai, sieht darin den Vorboten der Heirat Pao Yüs. Um seine Entscheidung zu erzwingen, stellt sie ihn vor die Wahl zwischen den beiden rot verschleierten Bräuten. Er wählt falsch. Sein unglückliches Leben beginnt und endet mit seinem Verzicht auf irdische Macht und Reichtum nach seinen letzten Visionen von Lin Dai Yü in siebenfacher Gestalt. Durch die Pforte der roten Kammer schreitet er in eine andere Wirklichkeit.

Dieses einsame, stille Ende entspricht zwar dem Wandel des Taugenichts zum buddhistischen Mönch am Ende des Romans. Als Ballettschluss ist es allerdings zu wenig theatral. Wie sagte doch bereits Mozarts Librettist da Ponte: im Finale müssen alle Personen nochmals auftreten - und sei's nur in diesem Fall um der prächtigen Kostüme willen.