Tanz - Tanz - Tanz
Sie stammen, wie das im Tanz nun mal so ist, aus aller Welt. Aber ihre Lust zu tanzen bietet eine solide Basis für perfekte Harmonie auf der Bühne - erstaunlich in diesem Fall. Denn sechs der dreizehn Ensemblemitglieder von Ricardo Fernandos balletthagen (Martin Schläpfers Mainzer Titulierung macht Schule) sind neu in dieser Saison, drei kamen eine Spielzeit davor. Und doch wirkt die Kompanie schon völlig homogen. Dabei haben allesamt, wie es bei kleinen Kompanien idealerweise ist, durchaus individuelle solistische Qualitäten. Die machen sich die drei Choreografen des neuen Abends sehr zunutze.
Mit dem Spanier Hugo Viera hat Fernando einen Choreografen eingeladen, der in NRW bisher noch nicht bekannt war. Eine Entdeckung! Sein Ensemblestück Mind over Matter versteht der neue Hauschoreograf des kroatischen Nationalballetts in Zagreb als Hommage an alle Tänzer, die ihren Körper immer wieder durch schiere Willenskraft zu Höchstleistungen zwingen. Es ist ein überaus kraftvolles, maskulines Stück. Schreiten und rennen, Ringkämpfe und Gruppenaktionen in grauen Unisex-Anzügen schaffen ein Ambiente wie aus einem Science-Fiction-Film. Der Boss (der markige Shinsaku Hashiguchi) schwebt auf einer runden Plattform ein und mischt sich unter das wie Roboter funktionierende Arbeiterteam. Nur einer bietet ihm Paroli: der jungenhaft sportive Juliano Pereira lässt sich in irre Verknäuelungen mit ihm ein.
Akustisch effektvoll untermalt wird das in diffuse Lichtspiele getauchte Maschinenraum-Szenario von Musik des deutschen Max Richter, u.a. Passagen aus seiner Bearbeitung von Vivaldis Vier Jahreszeiten. Das schafft sogartigen, motorischen Drive. Streetdance-Elemente und handfeste Akrobatik sind die Hauptingredienzien von Vieras Körpersprache. Fetzig und stringent kommt die spannungsgeladene Tanz-„Maloche“ über.
Danach erzählt Young Soon Hue in Touch eine poesievolle Geschichte aus Fernost mit femininer Sensibilität: ein unsichtbarer roter Faden verbindet Menschen, die für einander bestimmt sind. Werden sie sich finden? In mehreren Episoden leben drei Paare diese Zweisamkeit. Ein einsamer Mann in Weiß (Juliano Pereira) bleibt außen vor. Aber er fühlt sich wie magisch zu einem der drei Männer (den eleganten Huy Tien Tran) hingezogen. Nur zögerlich wendet der sich ihm zu. Verzweifelt erkennt auch „seine“ Frau (Caroline de Oliveira) die Wahrheit und bleibt trauernd allein zurück. Genau auf den Punkt gebracht hat die Koreanerin, die nach glanzvoller Tanzkarriere als Choreografin nicht nur in Hagen gern gesehener Gast ist, ihr Thema - schnörkellos und anrührend in Modern Dance-Technik.
Dem Hausherrn selbst will gerade diese Kunst des Weglassens in Nacht nicht so recht glücken. Unter dichten Nebelschwaden, die von oben strömen - mal weiß, mal grau, mal braun - tanzt das Ensemble in düsterer Nacht. Wer sie sind und was sie tun ist kaum zu entschlüsseln. Was hat es mit dem Brief auf sich, den Huy Tien Tran wieder und wieder liest? Fast nervös und hektisch, überladen wirken die Nachtszenen. Choreografisch nimmt Fernando viele Anleihen bei Vieras großen Gesten und roboterartigen Armwinkelungen. Gruppenpassagen sind kaum mehr als Aerobic. Zauberhaft - aber auch unerklärlich - tanzen Sandra Resende und Matt Williams ein klassisches Pas de deux. Sterntaler im finsteren Tann?
Eine etwas einengende Brücke zwischen den Stücken schlagen Richters Musik und Peer Palmowskis reichlich düstere Szene. Das könnte ermüden, wäre der Tanz nicht so zündend. Die Truppe tanzt alle drei Uraufführungen bis zum letzten Takt energiegeladen, konzentriert und technisch ohne Fehl und Tadel. Das imponiert!