Übrigens …

Peer Gynt im Bielefeld, Stadttheater

Schön gescheitert

Die Erwartung war groß: wieder ein Peer Gynt-Tanzstück. Nach John Neumeiers Ballett wagte sich jetzt Gregor Zöllig mit seiner kleinen Bielefelder Truppe, nahezu zeitgleich zum Einstand von Steijn Celis in Saarbrücken, an Henrik Ibsens philosophisch unterfüttertes "Dramatisches Gedicht" über den norwegischen Fantasten, der auszieht, das Glück zu finden, und lebensmüde heimkehrt, um zu erkennen, dass es Jahrezehnte lang direkt vor seiner Haustür auf ihn gewartet hat: Solvejg.

Die Latte lag hoch, sehr hoch: das NRW-Kultursekretariat Wuppertal gewährte Unterstützung aus dem Fonds Neues Musiktheater. Der britische Komponist Gavin Bryars (Jesus never failed me yet) sagte Originalkompositionen zu. Neue Tänzer versprachen frisches Blut.  Aber, wie Neumeier und Celis, blieb auch Zöllig Ibsens folkloristischer Vorlage treu. Bryars ging gar vor Edvard Griegs unvergleichlich farbenprächtiger, romantischer Partitur förmlich in die Knie. Er orientierte sich an Griegs beiden Peer Gynt-Suiten und ähnlich programmatischen Kompositionen. Beim ersten Hinhören vermisst der Zuhörer in diesen Paraphrasen auf wohlbekannte Themen des Norwegers eigentlich nur Griegs Colorit - und hört gar nichts Neues, jedenfalls nichts, was modernen Tänzern eine bessere Stütze wäre als Griegs originale Musik. Da muss es doch den wackeren Bielefelder Philharmonikern und der ersten Kapellmeisterin Elisa Gogou ordentlich in den Fingern gejuckt haben.

Die Tänzer hingegen delektierten sich unbeirrt am poetischen Melos von Dichtung und Musik. Noch nie wirkte Gregor Zölligs Truppe derart frei, spielfreudig, heiter. Gianni Cuccaro ist als Peer kaum wieder zu erkennen: strahlend, sprunggewaltig, wandlungsfähig vom naiven Kind im albernen Billig-Pulli mit Norwegermuster - das Corps gibt ihm, schrecklicherweise, ein hämisches "Hänschen klein...." mit auf die Reise - bis zum geläuterten, melancholischen alten Heimkehrer. Mutter Aase (im unerträglich abgedroschenen schwarzen Witwen-Kittelkleid) tanzt Alice Baccile anrührend wie eine Mats Ek-Figur. Pauline De Laet ist eine wunderbar verwirrte Braut Ingrid, Brigitte Uray die stets lächelnde, aber geschmeidig sympathische Solvejg, Ursina Hemmi die fröhlich-laszive grüne Troll-Prinzessin, Anna Eriksson die verführerische, rot verschleierte Tochter Anitra eines Beduinenhäuptlings, Simon Wiersma ein grandios bizarrer Vorsteher des Tollhauses in Kairo, Dirk Kazmierczak der Tod mit furchterregender Aura im Gewand des Knopfgießers.

Die Bühne lässt Ausstatter Hank Irwin Kittel leer und schwarz, akzentuiert den theatralischen Arbeitsraum mit blendenden Lampen- und Scheinwerfer-Batterien, gelegentlich mit mehr oder weniger erhellenden, stereotypen Requisiten, Kostümen oder Accessoires. In diesem finsteren Labor des Nachdenkens über Identitätssuche, Liebe, Sexualität, Hoffnung und Tod, die Zöllig erforschen will, erzählt er reichlich konventionell, aber doch mit überraschend freier choreografischer Handschrift, was ein Publikum wohl auch von einem Peer Gynt-Abend erwartet. Man versteht die Geschichte, man liebt die Tänzer, man summt (innerlich) Griegs Ohrwürmer mit. Was Fantasten wie dieser Sohn der Bauerswitwe Aase in unserer Zeit wohl täten und dächten - das erfährt man leider nicht. Schade - zurück bleibt der schale Nachgeschmack eines mutlosen Versuchs, das Scheitern eines abenteuerlich kreativen Zeitgenossen theatralisch zu skizzieren.

Aber die Bielefelder beten ihre Tanzmacher - ohne wenn und aber - an und feierten die wirklich wunderbar engagierten, ausdrucksstarken Tänzer nicht nur am Premierenabend mit stehenden Ovationen.