Schwarz-weiße Lebensmuster
Auf den ersten Blick klingt der Titel der neuen Kreation der Wahl-Berlinerin Toula Limnaios mit dem Tanztheater Münster If I was real wie übelster Slang aus den Südstaaten der USA. Aber irgendwie stecken in ihm beide Aussagen - „If I were real“ (wenn ich wirklich wäre) und „When I was real“ (als ich wirklich war). Gegenwart und Vergangenheit, Möglichkeit und Wirklichkeit passen zu den surrealistischen Tanzbildern, angeregt durch einen Essay Albert Camus‘, und lassen ebenso viele Interpretationen, Sichtweisen und Gefühle zu wie Zuschauer im Parkett sitzen. Denn in diesem Stück ganz in schwarz-weißer Optik geht es um Licht und Schatten im Leben, um Träume, Reflexionen, Fantasien und verschwommene Erinnerungen.
Auf weißem Tanzboden bewegen sich die vier Tänzerinnen und vier Tänzer in schwarzen Kostümen für Männer und Frauen, für Spiel, Sport und Alltag wie Teile eines Perpetuum Mobile. Begleitet von raumfüllenden Sphärenklängen und motorischem Trommeln, Klirren, Schaben, Ratschen und Grummeln elektroakustischen Schlagwerks (Musik: Ralf R. Ollertz) zu immer neuen Raummustern.
Es ist eine beeindruckend klar strukturierte, sehr dynamische Choreografie mit einer seltenen Bewegungsvielfalt, die die Münsteraner konzentriert und mit individueller Ausstrahlung souverän meistern.
Zu Beginn schimmert die Gruppe nur schemenhaft durch den Gazevorhang, der Vorder- und Hinterbühne voneinander trennt. Vorn ragt ein Hüne auf (Keelan Whitmore), in den Händen eine Axt, die er in dem langen Solo wägt, pendeln lässt und im Sprung wie ein Diskuswerfer schwingt. So schön der athletische Körper, die sportlichen Posen und Aktionen auch aussehen: die latente Bedrohung bleibt spürbar, und man atmet erleichtert auf, als der muskulöse Amerikaner die Axt in eine Halterung in der Mitte der Bühnenrampe stellt. Mit einem Solo endet Limnaios‘ Komposition wieder: nun aber tanzt es – meist vom Publikum abgewendet - der ebenfalls sehr hoch gewachsene Jason Franklin, gekleidet in eine bodenlange schwarze Tüll- und Taft-Robe, dazu eine Kopfbedeckung, die aus manchen Perspektiven zwar wie ein Frauenhut wirkt, von vorn aber doch eher wie eine Baseballkappe mit Stirnlampe.
Mann und Frau am Anfang und Ende. Männer und Frauen im ständigen Wechsel der Kostüme dazwischen. Menschheitsbilder. Zunächst tanzt jeder und jede für sich vor oder hinter der Gaze. Später finden sich Paare. Kleine Gruppen bilden Cluster. Der Zwischenvorhang wird zur Videoleinwand, auf die oft in Großaufnahme, gelegentlich gedoppelt oder vervielfältigt, einzelne Tänzer oder Paarszenen projiziert werden. Immer wieder sprechen einzelne vage Erinnrungen in Mikrophone. Der Erfindungsreichtum der griechischen Choreografin, die in Münster seit vielen Jahren als Pädagogin und Choeografin gern gesehener Gast ist, ist staunenswert. Das Premierenpublikum feierte sie, ihre Schwester Antonia (Ausstattung) und ihren ständigen musikalischen Partner sowie die bravouröse Kompanie mit Ovationen.