Kosmisches Weltentheater
Der alte Faust geht zittrig auf seinen Gehstock gestützt zu einem Stuhl und lässt sich nieder, mit sich selbst und der Welt hadernd. Wie authentisch wäre dieses Bild, wenn man nicht immer wieder hinter den geschwärzten Brillengläsern die lebendigen Augen von Tenor Roberto Alagna funkeln sehen würde. Nachdem ihm der Teufel aus einer Requisitenkiste seine Jugend zurück gegeben hat, macht dieser Faust vor Freude und zum Vergnügen des Publikums als erstes einen Radschlag.
So beginnt Regisseur David McVicar, dessen Name aber wie das gesamte Regieteam unverständlicherweise auf der DVD verschwiegen wird, seine Interpretation des Faust, in der man den religiösen Wettkampf zwischen Gott und Teufel deutlicher sieht als in Gounods Komposition. Es ist ein großes kosmisches Weltentheater, das völlig zu Recht den Weg auf die DVD gefunden hat. Die Bühne ist rechts wie eine Kirche mit großer Orgel angelegt, links wie ein Theater mit Loge - dazwischen formt sich die Szene mit vielen Anklängen an die Pariser Welt. So spielt der zweite Akt im Varieté und Faust verliebt sich in die Chefin Marguerite. Eine unglaubliche Vielzahl von Ideen macht Gounods Oper höchst lebendig, ohne sie allein auf die Regie zu reduzieren. Auch die Kostüme umfassen die farblichen Möglichkeiten von trist grau bis schillernd elegant. So aufgestellt gelingen dem Team alle Momente: Die ersten Akte sind noch beherrscht von herzlicher Volksnähe, dann siegt allmählich das Drama. Beklemmend ist der Tod des Valentin, der Marguerites Wahnsinn besiegelt. Das Ballett der Walpurgisnacht ist ein Zerrbild von Fausts Geschichte, in dem ihm auch der zombieartige Valentin wieder begegnet. Dass sich Bariton Simon Keenlyside selbst für diesen Auftritt nicht zu schade war, kann den hervorragenden Eindruck, den er zuvor hinterlassen hat, kaum noch steigern.
Überhaupt agiert hier ein Ensemble, das keine Vergleiche zu scheuen braucht: Als Teufel Méphistophélès sucht kein geringerer als Bryn Terfel die Herausforderung mit Gott, wohl wissend dass er zwar nicht gewinnen kann, aber doch in der Freude auf die Zerstörung, die er anrichten wird. Terfel führt seinen facettenreichen Bass mit diabolischer Eleganz durch die Inszenierung, dass einem Angst und Bange wird. Neben ihm sorgt das (ehemalige) Traumpaar der Oper für Furore: Angela Gheorghiu und Roberto Alagna. Der Tenor besticht mit seiner strahlenden Stimme, bleibt der Rolle weder den französischen Schmelz noch die dramatische Verzweiflung schuldig. Dazu kommt noch seine körperliche Präsenz. Angela Gheorghiu verlässt sich nicht nur auf die lyrische Schönheit ihres Soprans sondern zieht den Zuschauer in einen Strudel der femininen Gefühle. Dieses Terzett aus Terfel, Gheorghiu und Alagna lässt die Herzen höher schlagen und beschert ihnen mit dieser DVD eine Sternstunde der Oper. Denn auch Dirigent Antonio Pappano weiß, wie er seine Sänger am besten in Szene setzt und hüllt sie in einen überirdischen Klang aus Samt und Seide. Das Orchester der Royal Opera Covent Garden kann nicht nur mit viel Feingefühl musizieren sondern lässt sich auch gerne zu dramatischen Höhepunkten aufpeitschen. Unbedingt empfehlenswert!