Übrigens …

Bilanz einer Ära

Da saß sie zwischen Skylla und Charybdis: sollte sie Hans Neuenfels’ Idomeneo-Inszenierung weiter spielen oder Mozarts Oper vom Spielplan nehmen lassen? In jedem Falle würden sich Kritiker melden und nicht mit harten Worten sparen - Schelte also wäre ihr so oder so sicher gewesen. Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper Berlin, entschied sich im September 2006, also ein Jahr nachdem in Dänemark erschienene Mohammed-Karikaturen heftige Proteste der muslimischen Welt ausgelöst hatten, den Idomeneo abzusetzen. Aus Sicherheitsgründen. Was folgte, war eine leidenschaftliche Debatte um die Freiheit der Kunst, um die Verantwortung für die Sicherheit des Publikums und der Künstlerinnen und Künstler.

Die Idomeneo-„Affäre“: sicher eine Angelegenheit, die Kirsten Harms in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit stellte. Sie wird ausgiebig erörtert auch im „Sieben-Jahrbuch“, das nun zum Abschied von Harms als Intendantin herausgekommen ist. Auf gut 500 Seiten zieht sie vorüber, diese sieben Jahre dauernde Ära. Neben dem üblichen Chronologischen finden sich mal kurze, mal längere Essays, die punkthaft die Arbeit der Deutschen Oper Revue passieren lassen oder Hintergründe beleuchten wie im Fall des Idomeneo. Aufschlussreich dazu ein Gespräch zwischen dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler und dem Theatermann Ivan Nagel.

Vor allem sind es die Wiederentdeckungen längst vergessener Opern, die das „Sieben-Jahrbuch“ in exquisiten Fotos festhält und denen begleitende Aufsätze zur Seite gestellt werden. Alberto Franchettis Germania beispielsweise, das Opern-Doppel Cassandra/Elektra (Vittorio Gnecchi/Richard Strauss) oder Oberst Chabert von Hermann Wolfgang von Woltershausen. Damit hat Kirsten Harms immer wieder für große Aufmerksamkeit gesorgt, ihr Haus kontinuierlich interessant gemacht und ihm ein individuelles Profil verliehen - nicht die schlechteste Bilanz am Ende ihrer Intendanz. Auch die ökonomischen Zahlen können sich durchaus sehen lassen.

Das „Sieben-Jahrbuch“ ist mehr als „nur“ Rückschau. Die durchweg sehr anspruchsvollen Textbeiträge liefern reichlich Diskussionsstoff. Ein schönes Beispiel dafür, wie Konzepte auch in theoretischen Gesprächen ganz plastisch und transparent daher kommen können, ist mit der „Schönheitskonferenz“ belegt. Hier entwickeln so unterschiedliche Köpfe wie Jürgen Kesting, Anja Silja und Klaus Staeck allgemein und anhand der Saisonpremieren ihre Überlegungen zum Schönheitsbegriff. Selbst in gedruckter Form schwingt da viel Leben mit.
Die ausnahmslos herausragenden Bilder in perfekter Druckqualität auf edlem Papier werfen buchstäblich einen präzisen Blick auf das, was in sieben Jahren an Arbeit in Berlin geleistet worden ist. Ein stattlicher Fünf-Pfund-Wälzer ist da entstanden. Nichts für die Bettlektüre also, eher etwas fürs Studium an einem stabilen Tisch.