Übrigens …

Musik als Heimat

Fazil Say – ein Wunderknabe. Aribert Reimann war schon 1987, als Klein-Fazil gerade mal 17 Jahre jung war, begeistert vom Klavierspiel des türkischen Vorzeige-Künstlers. Inzwischen wird Say international geschätzt als Komponist („Istanbul-Sinfonie“, Violinkonzert „1001 Nächte im Harem“), als Pianist, als Brückenbauer zwischen den Kulturen und Kontinenten, als Jazzmusiker, als Festivalorganisator, als Crossover-Spezialist. 2006 war er Artist in residence im Konzerthaus Dortmund.

Geboren 1970 in Ankara, lebt der Musiker, dem Jürgen Otten jetzt eine erste Biografie widmet, längst abwechselnd in Istanbul und in Berlin. Sein Vater Ahmet Say schreibt stolz in seinem Vorwort zu dieser Publikation: „Fazil Say wurde im Jahre 1970 im richtigen Land und in der richtigen Zeit geboren.“

Will heißen: Dieser Künstler antwortet auf Fragen der Zeit, ist musikalisch auf der Höhe, bringt sich beruflich vielseitig ein, versöhnt als Türke Gegensätze oder Widersprüche von Orient und Okzident. Also: Wunderknabe und Tausendsassa.

Otten entgeht meist der Gefahr solcher Monographien zu Lebzeiten, dass er alles „großartig“ und „bewundernswert“, „super“ oder „grandios“ bezeichnet, was Say anstellt oder wie er auf den Tasten des Instruments spielt. Der Autor zieht sich deshalb gern auf Aussagen des Musikers zurück. Das ist gut so. Dadurch wirkt das Porträt weitgehend authentisch. Deshalb soll besonders zur Lektüre das Interview empfohlen werden, das der Klavierkenner und Musikjournalist mit dem „Weltbürger“ führt. Darin sagt Say zum Beispiel über die (politischen) Entwicklungen in seiner Heimat: „Drei Richtungen streiten um die Vorherrschaft. Die westliche, die sich an Europa orientiert; die östliche, die islamische, die eine eigene Lebenskultur verlangt; und die Kurden. Das alles driftet zunehmend auseinander.“ Er gehe davon aus, dass die Türkei in den kommenden 50 Jahren eine starke Rolle einnehmen wird: „Sie wird eines der zehn wichtigsten Länder weltweit!“ Seine eigene Arbeit werde vom Kultusministerium abgelehnt oder zumindest erschwert, weil er in manchen Aussagen „zu kritisch“ gewesen sei. Er stehe zu Mozart und Beethoven und sehe kommerzielle Tendenzen in der heutigen (Pop-)Musik als gefährlich an. „Meine Heimat ist die Musik, ein umfassendes Universum.“