Der Schöne und sein Biest
„Schauspieler gibt es nicht. Irgendeiner hat das mal erfunden. Man empfängt eine Kraft von irgendwoher. Die geht durch einen durch. Die gibt man weiter.“, sagt Klaus Kinski. Das klingt einfach. Und doch bleiben sie faszinierend, die „großen“ Schauspieler, besonders die Getriebenen, die ewig Suchenden, die vor dem Publikum brennen und (sich) stets zu früh verbrennen. Diese besonderen Künstler haben sich stets ein Ventil gesucht, um überleben zu können. Klaus Kammer versuchte es erfolglos mit einem „normalen“ Familienleben, Oskar Werner versank im Alkohol, Wolfgang Kieling wechselte wild Frauen, politische Haltungen und deutsche Staaten. Klaus Kinski liebte die Frauen gleichfalls sehr, fand den Regisseur Werner Herzog und stilisierte sich zum Idol und enfant terrible in der Medien-Society der 70erJahre.
In seiner „Klaus Kinski Estate Edition“ versucht Peter Geyer dem Menschen Kinski nahe zu kommen und das Geheimnis des Schauspielers zu ergründen. Die aktuelle Veröffentlichung versammelt sechs filmische Dokumente, darunter zwei Schnipsel aus der österreichischen Fernsehreihe „Apropos Film“ und einen kurzen Auftritt in der Fernsehshow „Auf Los geht’s los“, alle drei interessant für Fans, aber nicht übertrieben aussagekräftig.
Spannender ist da schon das berühmte „Waldinterview“, das Kinski dem Bayerischen Rundfunk während seiner gescheiterten Jesus-Tour gab. Hier ist er ganz unnahbares Künstlergenie in Pelz und Baskenmütze, verfolgte Unschuld, Berserker gegen das Bürgerliche und erzählt, was nirgendwo anders belegt ist, dass er stets von Vorschüssen gelebt hat.
Bewegend ist ein Zusammenschnitt vom Telluride Festival 1979, einem Filmhappening in den Bergen des US-Staates Colorado. Hier ist Kinski entspannt, freundlich, beantwortet Fragen mit versonnenem, charmantem Ernst. Das einstündige Dokument belegt eine innige Beziehung zu Werner Herzog, von wegen „mein liebster Feind“! Immer wieder sagt Kinski, Herzog könne die Dinge besser erklären als er. Der Regisseur lächelt, rückt näher heran und schweigt. In allen Ausschnitten, aber besonders hier beeindruckt Kinskis geradezu liebkosender Umgang mit Sprache, sein fast besessenes, aber nie hektisches Suchen nach der angemessenen Formulierung, ohne dass je der Fluss verloren ginge. Man hat den Eindruck, er räumt Ballast um Ballast zur Seite, um ganz am Boden ein Körnchen Wahrhaftigkeit zu finden. Oberflächliche Fragen markiert er im Gespräch als solche, bemüht sich aber trotzdem, sie zu verstehen und zu beantworten. Welcher Talk-Show-Gast hätte das jemals getan.
Am instruktivsten sind Ausschnitte aus der „Kinowerkstatt“ des Sendes Freies Berlin. Hieraus stammt das einleitende Zitat. Hier verbreitet sich Kinski, leidenschaftlich aber nie aggressiv, in druckreifen Formulierungen explizit über sein Kunstverständnis und seine Einstellung zur Arbeit. Jedem, der an der Arbeit des Schauspielers und/oder an deutscher Nachkriegskultur interessiert ist, sei die Reihe ans Herz gelegt.