Wirken lassen
Tröstlich, dass das Tanztheater Wuppertal auch nach dem Tod von Prinzipalin Pina Bausch daheim und in aller Welt weiterhin Triumphe feiert. Dem Bausch-Verehrer tut es immer noch weh, Wim Wenders‘ Film anzuschauen. Dessen Hommage an die Grande Dame des Tanztheaters (gestorben am 30. Juni 2009) ruft so viele Erinnerungen an unvergessliche Abende des Tanztheaters Wuppertal wach, die stets in den kostbaren Momenten der Applaus-Ordnung mit Pina Bausch inmitten ihrer Garde von Tänzerinnen und Tänzern aus fast zwei Dutzend Ländern kulminierte. Die tieftraurigen Gesichter der Ensemblemitglieder in Großaufnahme, wenn sie Schlüsselerlebnisse ihrer Arbeit mit Pina Bausch rekapitulieren, drücken aus, was auch jeden Bausch-Verehrer schmerzt: nie wieder wird es Ein neues Stück – titellos am Premierenabend - geben.
Wenders ist für sein Schaffen und den Tanztheater-Dokumentarfilm mittlerweile vielfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Deutschen Filmpreis und in diesen Tagen mit dem Ehrenring der Stadt Wuppertal. Bei der Oscar-Verleihung ging er allerdings leer aus. Die Idee und auch teilweise das Konzept für den Film entwarf der Filmemacher noch gemeinsam mit der Tanzmacherin. Auch an der Wahl der ausschnittweise gezeigten Stücke war Bausch beteiligt. Gezeigt werden Szenen aus ihren populärsten Choreografien Le Sacre du Printemps und Café Müller, dem einzigartigen Kontakthof (1978 vom Tanztheater Wuppertal uraufgeführt, später mit Senioren und dann mit Teenagern einstudiert) und dem fernöstlich-poetischen Vollmond, dazu Momente aus anderen Stücken – etwa die wunderbare Ziehharmonika-Szene und Lutz Försters Solo in verfremdeter Gebärdensprache aus Nelken oder der Stuhlturm, durch den sich Tänzer schlängeln, aus Wiesenland. Natürlich darf Bauschs legendäre diagonale Polonaise der Tänzer – hier als Wanderungen durch die Natur – nicht fehlen. Raffiniert verknüpft Wenders unterschiedlichste Besetzungen derselben Szenen. Auch biografische Zeitsprünge ermöglicht die filmische Technik: hier ein kurzer Probenausschnitt mit der lebhaften jungen Bausch, dort die Bausch der letzten Auftritte in Café Müller (im schnellen Wechsel mit Helena Pikon, die sich angeblich so gar nicht wohl fühlt in dieser ihr von Bausch selbst aufgezwungenen Nachfolge-Position und doch so tief berührt.)
Ein roter Faden für Unkundige fehlt. Ähnlich wie Bauschs revueartige Tanz-Collagen besteht Wenders‘ Film aus kurzen Szenen, stimmungsvollen bis harsch-banal wirkenden Episoden, poetischen Solos in Waldstücken oder einem Schwimmbad, auf Fabrikinnenhöfen und an Straßenrändern, unter und in der Wuppertaler Schwebebahn. Wer nie ein Bausch-Tanzstück sah, könnte Mühe haben, sich im rasanten Szenenwechsel zu orientieren. Am besten die surrealen Bilder wie Videoclips auf sich wirken lassen, ohne deren Sinn oder Inhalt zu hinterfragen! Die Sorge, in 2D könne der Film völlig abfallen gegenüber der 3D-Technik des Originals erweist sich glücklicherweise als unbegründet.