Zärtlicher Provokateur
Dass Rainer Werner Fassbinder nicht nur ein – im internationalen Maßstab – bedeutender Filmemacher war, sondern auch ein wesentlicher und vor allem folgenreicher Theatermacher, belegt der britische Theaterwissenschaftler David Barnett in seinem überaus lesenswerten Buch.
Minutiös werden die 39 Theaterarbeiten, an denen Fassbinder zwischen 1967 und 1975 als Uraufführungsautor, Bearbeiter, Schauspieler und – vor allem – Regisseur beteiligt war, beschrieben.
Dabei geht es Barnett vordringlich um die Form, Wirkung und Nachwirkung der von Fassbinder entwickelten Theaterästhetik. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Behandlung der Sprache, die nie psychologisierend oder ästhetisierend eingesetzt wird, sondern gesellschaftliche Befindlichkeiten und soziale Abhängigkeiten der Figuren möglichst direkt und intensiv zu erfassen sucht.
Barnett beschreibt die ungeheuer starke Wirkung dieser Arbeiten auf Fachleute, Kritiker und Publikum auf Basis sehr gründlicher Auswertung fast sämtlicher zugänglicher Quellen. Zudem wurden für das Buch viele Interviews mit Kollegen und anderen Weggefährten geführt, die die Künstlerpersönlichkeit Fassbinder zumindest teilweise in ein neues Licht setzen. Sie zeigen ihn etwa als Teamplayer, der den Führungsanspruch, den sein Ensemble an ihn stellt, nur teilweise erfüllen will.
Eine große Stärke von Barnetts Buch ist es, den Fokus ausschließlich auf die Theaterarbeit zu richten. Die oft beschriebenen privaten Verflechtungen und Abhängigkeiten in der „Fassbinder-Gruppe“, die indirekten Verbindungen zur sich gründenden RAF kommen nur am Rande vor. Hingegen wird die Theaterarbeit in München am Action-, später antitheater, samt den erbärmlichen Arbeitsbedingungen so eindringlich geschildert wie die Arbeit in Bremen, beim väterlichen Freund Kurt Hübner und in Bochum, beim wilden, manchmal auch missgünstigen Konkurrenten Peter Zadek.
Das Schlusskapitel widmet sich ausführlich der Frankfurter Zeit. Die gescheiterte Intendanz am TAT und die verhinderte Uraufführung von Der Müll, die Stadt und der Tod am Frankfurter Schauspiel, gepaart mit Antisemitismusvorwürfen, denen Barnett vehement und fundiert widerspricht, entfremdeten Fassbinder nicht nur der Bühnenarbeit, sondern auch jener Gesellschaft, deren wichtigster Chronist er mit seinen Filmen, seinen Inszenierungen, seinen Stücken wie Katzelmacher oder Die bitteren Tränen der Petra von Kant fast ein Jahrzehnt lang gewesen war.
„Rainer Werner Fassbinder – Theater als Provokation“ ist ein lesenswertes Buch über einen zärtlichen, unbehausten und rastlosen Wilden Mann und über ein wichtiges Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.