Von Räumen, Zwischenräumen und Träumen
Niemand repräsentiert den aktuellen deutschen Tanz europaweit so eindrucksvoll, erfolgreich und eigenständig wie die 49-jährige Choreografin und Regisseurin Sasha Waltz. Die Berliner Tanzkritikerin Michaela Schlangenwerth zeichnet mit beeindruckender Kompetenz und Sachlichkeit Waltz‘ Werdegang nach. Sie entlockt der Wahl-Berlinerin in elf Interviews Auskünfte und Reflexionen über ihre künstlerische Arbeit und ihr Leben als Mensch, Ehefrau ihres langjährigen Produzenten und Dramaturgen Jochen Sandig und Mutter der beiden gemeinsamen Kinder.
Acht der Gespräche über Räume, Zwischenräume und Träume (im Schlaf und fürs weitere Leben) fanden 2006 und 2007 statt. Drei wurden nach dem Scheitern der gemeinsamen Intendanz von Schauspiel und Tanz an der Berliner „Schaubühne am Lehniner Platz“ und einer einjährigen krankheitsbedingten Auszeit von Waltz 2011 geführt. Die elf Kapitel, eingeleitet durch die Skizzierung der Karriere-Etappen, widmen sich jeweils einem Aspekt – angefangen bei den Räumen, die Waltz für ihre Bewegungskunst findet und nutzt; denn sie seien, ähnlich den folgenden Recherchen, Ausgangspunkt und Basis für ihre kreative Arbeit. Erst danach komme die Compagnie - „der erweiterte Körper“, „Kollektiv und Atelier“ - mit Improvisationen auf vorgegebene Stichworte ins Spiel.
Begann Waltz‘ Karriere als freischaffende Tänzerin mit der Reihe selbst choreografierter Dialoge im Berliner Künstlerhaus Bethanien, so strebt sie später mit ihrer Compagnie Sasha Waltz & Guests den Dialog mit Künsten wie Architektur und Bildende Kunst an. Eckpunkte der Annäherung auf Augenhöhe an die anderen Bühnenkünste sind die Jahre an der Schaubühne (Kapitel: „Die neue Dimension…“) und die jetzige Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie für Alte Musik im reizvollen Ambiente des „Radialsystem V“ (Kapitel „Oper zum Tanzen bringen“ I und II). Seit dem sensationellen Erfolg von Purcells Dido und Aeneas und danach Dusapins Medea – jeweils in Luxemburg und Berlin - hat sich Waltz als aufregend originäre Opernregisseurin in Europa etabliert. Hatte Pina Bausch in den 1970er Jahren mit ihren Inszenierungen von Glucks Tanzopern Orpheus und Eurydike und Iphigenie auf Tauris im Wuppertaler Opernhaus unter heftigem Publikumsprotest den Tanz vor die Musik gestellt, so plädiert Waltz explizit für die Gleichberechtigung aller beteiligten Künste im „Gesamtkunstwerk“ Oper und wird begeistert gefeiert. Auch deshalb überragt sie, obwohl nicht zuletzt durch ihre Arbeitsweise mit der Compagnie deutlich geprägt von Bausch, als deren legitime Nachfolgerin das Heer der Bausch-Epigonen.
Präzise, meist sehr knappe Fragen zeigen Michaela Schlangenwerths Vertrautheit mit dem Werk und der Person von Sasha Waltz. Die professionelle Distanz – man siezt sich – unterstreicht Seriosität und Sachlichkeit. Werkverzeichnis und Kurzbiografie im Anhang runden die sparsam mit schwarz-weißen Fotos illustrierte Darstellung ab. Das optisch bescheidene Taschenbuch im DIN A 5-Format ist eine hochwillkommene Ergänzung zu dem mehr als wortkargen, voluminösen, großformatigen Bildband „Cluster – Sasha Waltz“, 2007 von Waltz selbst herausgegeben.