Der Meister des „Dortmunder Ballettwunders“
Der großformatige broschierte Bildband, erschienen zum zehnjährigen Jubiläum von Xin Peng Wang als Dortmunder Ballettchef, besticht durch seine schlichte Aufmachung. Nur der Name des Chinesen steht in schwarzen Druckbuchstaben auf dem mattgestrichenen, hellgrauen Pappcover. Auf der Rückseite ist kursiv ein Zitat von ihm abgedruckt: "Ich möchte nicht von gestern reden. Heute entscheidet sich unsere Zukunft. Was die Vergangenheit wert ist, zeigt sich immer erst morgen...". Freilich modifiziert er die Aussage: "Mir geht es nicht darum, mit Traditionen zu brechen. Im Ballett ist es wichtig, nie die Basis zu vergessen, auf der die Tanzkunst fußt. Diese Basis ist der Mensch." (zitiert im Vorwort von Dramaturg Christian Baier und Manager Tobias Ehinger).
Rund 70 farbige und schwarz-weiße Fotos legen Zeugnis ab vom bisherigen Schaffen des Choreografen Wang, geben Einblick in die Probenarbeit mit der Dortmunder Kompanie und gewähren Blicke auf den Menschen - darunter ein hinreißendes Porträt des Kindes.
Wang war Solist im Chinesischen Nationalballett, bevor er seine Heimat 1989 nach dem Massaker auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" verließ. An der Essener Folkwang Hochschule absolvierte er ein Zusatzstudium in zeitgenössischem Tanz und Choreografie. Nach kurzem Engagement als Gruppentänzer in Essen startete er eine internationale Karriere als freier Choreograf. 2001 wurde er Ballettdirektor in Meiningen, 2003 wechselte er mit Opernintendantin Christine Mielitz nach Dortmund. Hier hat er mit eigenen Balletten - bis hin zu "Schwanensee in zwei unterschiedlichen Versionen und dem China-Epos Der Traum der Roten Kammer - das zeitgemäße Handlungsballett maßgeblich gestärkt, durch rigide Aufbauarbeit seiner Kompanie und die Zusammenarbeit mit Gastchoreografen aus aller Welt das Ballett Dortmund auf einen vorderen Platz in Deutschland gebracht. Publikum und lokale Presse feiern Wang euphorisch als Meister des "Dortmunder Ballettwunders".
In den Textbeiträgen des Buches wird Wangs Arbeit in teilweise sehr blumiger Ausdrucksweise beschrieben, interpretiert und analysiert. Als "Feste der Differenz" beschreibt Rebecca Schönsee, Ex-Tänzerin und nun Germanistin in Wien, die Ballette. Da regiere „ein Fesselspiel von Grazie und Eleganz... in einer Sphäre des Artifiziellen als Zauber ewiger Gegenwart“. Zwischenüberschriften tragen den von Christian Baier gewohnten Telegrammstil: „Körper. Stimmen. Lesen“ – „Tänzer. Träumen. Lieder“. Das Theater Xin Peng Wangs sei „hineingestellt in das Minenfeld zwischen den labyrinthisch mäandernden Kreationen des be- wie entrückend Schönen“, meint Baier. Choreografisch sei er „neoklassizistischer Ikonografie verpflichtet“, spiele „an der Oberfläche auf der gängigen Klaviatur abendländischer Wohltemperiertheit. Tiefere Schichten seiner Arbeiten jedoch gehorchen noch der seismografischen Pentatonik des fernöstlichen Melos“. Die Berliner Tanzautorin Dorion Weickmann bestätigt „seine Vertrautheit mit uralten theatralischen Camouflage-Techniken“, unterstreicht die Bedeutung seines Wissesn um die „Zerreißprobe“ von Mensch gegen Masse Mensch im gegenwärtigen Umschwung seiner Heimat und hebt schließlich seine Nutzung technischer Neuerungen durch die Folkwangschule und -schulung hervor.
Eine Liste der über 50 bisherigen Choreografien liegt als loses Doppelblatt hinten im Buch. Bausteine seines "work in progress"? Es sei "ein ruhiges Buch" geworden, bemerkte Grafiker Matthis Eilers bei der Vorstellung sehr richtig. Optisch wird es der unaufgeregten, öffentlichkeitsscheuen, bescheidenen Art Xin Peng Wangs gerecht.