Die Olympier des Liedes

Er hat sie alle gesungen – die populären und die sperrigen, die bekannten und die weitgehend unbekannten Lieder der Olympier dieses Genres: Bariton Dietrich Fischer-Dieskau kennt sich bestens aus in der Entwicklung dieses Faches von Haydn bis Zelter, von Brahms bis Schumann, von Beethoven bis Loewe, von Mozart bis Schubert, von Pfitzner bis Hindemith, von Reimann bis Hugo Wolf u.a. Wie er die einzelnen Komponisten – auf das Kunstlied bezogen – einschätzt und bewertet, welche Schwierigkeiten sie bei der Interpretation bereiten und welche Emotionen investiert werden müssen neben der Stimmtechnik, davon berichtet der Sänger (und gestrenge Gesangsprofessor) „DiFiDi“ in der nach seinem Tod erschienenen Publikation Das deutsche Klavierlied.

Er ist/war einer der Verantwortlichen für den Boom dieser kammermusikalischen Besonderheit, bei der Text und Komposition eine entscheidende Balance einfordern. Fischer-Dieskau, u.a. verheiratet mit der Schauspielern Ruth Leuwerik und (in vierter Ehe) mit Julia Varady, war ein Rastloser. Bayreuth und New York, seine Heimatstadt Berlin und London gehörten zu seinen wichtigen Stationen. Tätig war der im Alter von 86 Jahren 2012 verstorbene Sänger als Lehrer und Autor, als Herausgeber und Juror – eine international angesehene Persönlichkeit, der man die „kleinen Schwächen“ (Überbetonung von Konsonanten, professorale Positionen bei Diskussionen, Überempfindlichkeit bei kritischen Äußerungen u.a.) gern nachsah.

Und wie urteilt er über die Liedkomponisten quer durch die Musikgeschichte? Über Haydns Altersstil: „Er ist einer der merkwürdigsten Vor-Zusammenfasser der Musikgeschichte geworden. Fast ohne Ausnahme sind diese Stücke (die „letzten“) hochbedeutend.“ Über Mozarts Liedkunst: „Seinem Opernstil nahe!“ Über Beethoven: „Er habe von der Stimme nichts verstanden? Seine […] Melodik beweist immer wieder das Gegenteil.“ Über Schubert: „Er hinterließ mit seinen rund 500 Liedern einen Schatz, der eine Welt für sich umschließt.“

Über Carl Loewe: „Echt und wahr.“ Über Schumann: „Sein Eichendorff-Liederkreis – eine Schluss-Krönung.“ Über Pfitzner: „Er sieht den musikalischen Einfall als melodisches Gebilde.“ Über Aribert Reimann: „…ist es bis zum Schluss gegeben, besinnlich oder ausbrechend wie eine alles Füllende eher weglassende Federzeichnung zu wirken.“

Das liest sich kenntnisreich und pädagogisch wertvoll, ermunternd und verteidigend: weil ihm die Sache des deutschen Kunstlieds so am Herzen lag. Der „Jahrhundertsänger“ hat hier ein schmales, aber wichtiges Dokument hinterlassen.