Kulturmetropole Köln
Es ist wirklich unendlich schade, dass Karin Beier und Uwe Eric Laufenberg, welche das Kölner Theater wie ein Phönix aus der Asche erstehen ließen, nicht gut miteinander konnten. Sympathie zwischen den beiden Intendanten hätten die vergangenen Jahre zusätzlich vergolden können. Doch Theatermenschen besitzen nun mal eine besondere Form der Sensibilität und Verletzlichkeit, was eine stimmige kommunikative „Chemie“ leicht vereiteln kann. Mit ihrem Mann, dem Schauspieler Michael Wittenborn, zieht Karin Beier hingegen künstlerisch am gleichen Strang; was auch dem Privatleben förderlich ist. Über ihre Kollegin Andrea Breth lässt sich Karin Beier immerhin noch mit Sympathie aus: „Sie ist mir fremd, aber ich respektiere sie sehr.“ Nachzulesen in Wolfgang Höbels Karin Beier. Den Aufstand proben. Anders als die vom Schauspiel Köln herausgegebene, bildreiche und mit von namhaften Theaterkritikern kommentierte Chronik über die Intendantenjahre der gebürtigen Kölnerin (2007 bis 2013) bietet Höbels (bildloses) Buch zwar ein wenig Biografie, aber nur so weit, als sie für den Berufsweg von Karin Beier belangvoll ist. Wer für Symbolik empfänglich ist, wird kaum den Ausspruch überlesen, welche die junge Karin Beier vor dem Schauspielhaus in Beisein ihres Kollegen Elmar Goerden machte: „Irgendwann übernehme ich das mal hier.“
Real geschah das 2007, nachdem das Haus eine anhaltend unglückliche Phase unter Leitung von Marc Günther durchlaufen hatte. Die erste Inszenierung Karin Beiers als Intendantin (gastweise hatte sie vor Ort schon vorher mehrfach Regie geführt) war nicht gleich der große Paukenschlag. So wurden bei Hebbels Nibelungen komödiantische Übertreibungen moniert, auch gab es Auseinandersetzungen mit der Stadt um das heikle Plakat zum Stück. Doch rasch zementierte sich ein Erfolgsweg, der auch durch die eine oder andere schwächere Arbeit nicht in Frage gestellt wurde. Es bekamen ja auch sehr unterschiedliche Regiehandschriften eine Chance. Doch speziell Karin Beiers Arbeiten wurden immer wieder zum Berliner Theatertreffen gerufen, was an ihre Erfolge in Düsseldorf während der 90er Jahre anknüpfte. Dass sie im Rahmen eines Bürgerbegehrens den Abriss des Schauspielhauses verhindern half (welches einem gigantischen Neubau zum Opfer fallen sollte), ließ die Intendantin fast zu einer Jeanne d’Arc werden. Karin Beier relativierte die Vorgänge allerdings in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vom 12. Juni: „Als ich hier anfing, war der Neubau eine beschlossene Sache. Ich kam gar nicht auf die Idee, den in Frage zu stellen.“ Bedenken über theaterinterne Konsequenzen mehrten sich dann aber.
Zu einem künstlerischen Höhepunkt bei Karin Beiers Inszenierungen geriet 2010 die Premiere von Elfriede Jelineks Trilogie Das Werk, Im Bus und Ein Sturz. Das letztgenannte Werk (Uraufführung) reflektierte den katastrophalen Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Wer den interpunktionslosen Kleinbuchstabentext Jelineks mal vor Augen hatte, wird die vitale, schwungvolle und mutig kritische Theatralisierung Karin Beiers besonders zu würdigen wissen. Nicht zuletzt an ihr ließe sich die Bühnenästhetik der Regisseurin beschreiben, welche nicht an einem Text festklebt, sondern diesen stets in sinnliche Bühnengegenwart umzusetzen gewillt ist, den Realitäten außerhalb der Theatermauern standhaltend. Für dieses Thema empfiehlt sich in dem Buch in Sonderheit die Lektüre eines Vortrags, den Karin Beier am 30. November 2010 in der Kölner Universität hielt („Theater berauscht. Theater nervt. Theater wirkt“) sowie ein Interview, welches (vermutlich) der Buchautor mit ihr führte. Da spürt man das fiebrige Engagement einer Theaterbesessenen.
Ein gesundes Karrieredenken hat Karin Beier nie geleugnet. Nachdem sie nun an das Deutsche Schauspielhaus Hamburg gewechselt ist, wo sie dem ehemaligen Dramaturgen Joachim Lux (Köln, Düsseldorf) jetzt als Chef wieder begegnet, spiegelt das einen ganz natürlichen Ehrgeiz. Allerdings lässt die gebürtige Kölnerin zumindest einen Koffer in der Domstadt. Und wenn sie sich in Hamburg ausreichend akklimatisiert hat wie ihr Nachfolger in Köln, Stefan Bachmann, könnte eine Gastinszenierung durchaus drin sein.
Ob Peter Fuhrmann, Autor von Musikmetropole Köln. Provinz und Weltbedeutung, gebürtiger Kölner ist, teilt der Klappentext des Buches nicht mit. Aber er, Jahrgang 1930, lebt gemäß eigener Aussage bereits im siebten Lebensjahrzehnt in dieser Stadt, hat hier Musik- und Theaterwissenschaft sowie Philosophie und Geschichte studiert, später an der Musikhochschule gelehrt und war beim Westdeutschen Rundfunk tätig. Weiterhin hat er Kulturprogramme im Fernsehen mitgestaltet, war Mitarbeiter wichtiger Zeitungen. Dieser weite Bildungshorizont lässt ihn als kompetenten Autor eines Buches erscheinen, welches die Musik in den Mittelpunkt lokalhistorischer Betrachtungen stellt und sich dabei auch Institutionen und Geschehnissen abseits der Peripherie umfänglich widmet.
Dass Fuhrmann Fakten weitgehend unabhängig von benutzter Sekundärliteratur darlegt, sondern diese vor allem auf persönlich Erlebtem, Erfahrenem beruhen, zeigt u.a. das Kapitel „Nicht nur zum Lobe Gottes - Eine Kölner Orgelballade“. Die akribisch geschilderten Schicksale der Instrumente im Gürzenich wie auch im WDR beweisen das. Bei dieser Gelegenheit wie auch anderswo spart der Autor übrigens nicht mit Kritik, formuliert sie mitunter sogar ausgesprochen ironisch-hitzig. Bereits der Untertitel des Buches beweist, dass Fuhrmann ungeachtet seiner Sympathien für das weitläufige Musikleben Kölns die (oft mentalitätsbedingte) geistige Primitivität bestimmter kulturpolitischer Entscheidungen klar zu benennen gewillt ist. Selbst eine zweifellos verdiente Persönlichkeit wie Franz Xaver Ohnesorg bekommt sein Fett weg. Er habe sein Amt „mit geschickter, populistischer wie autoritär besessener Machtausübung“ geführt, heißt es an einer Stelle. Auch mit dem Haus, welches für Fuhrmanns eigener Karriere besonders wichtig war (WDR), wird ins Gericht gegangen. Der Ausspruch eines György Ligeti, „Köln müsste es nochmal geben“, reflektiert ja eher die frühen, aufbruchsbeflügelten Jahre des Senders, wo die Einrichtung des „Elektronischen Studios“ für die „Neue Musik“ (besonders repräsentiert durch Karlheinz Stockhausen) künstlerisch geradezu existenziell war. Inzwischen aber haben „Reformen“ die bewährte, genreorientierte Struktur der Musikabteilung derart ausgehöhlt, dass bei anhaltender Entwicklung „der kulturelle Niedergang unaufhaltsam“ zu befürchten steht.
Im Spektrum der musikalischen Aktivitäten Kölns kommt, so weit zu sehen, bei Peter Fuhrmann nichts zu kurz. Auch nicht der volkstümliche Bereich mit dem Männergesangverein samt Cäcilia Colonia oder Willi Ostermanns Stadthymne Heimweh nach Köln. Die quantitative Ausdehnung der einzelnen Kapitel sollte man dabei nicht auf die Goldwaage legen. Eher schon irritiert die nicht immer ganz logische Abfolge der abgehandelten Themen: Mauricio Kagel, Mundart-Lieder und Rheinische Musikschule - wo gibt es da einen kausalen Zusammenhang? Die Geschichte des Gürzenich-Orchesters wiederum wirkt nicht fest genug umrissen. Man muss sie sich über die biografischen Notizen zu Ferdinand Hiller, Franz Wüllner, Fritz Steinbach und Günter Wand ein wenig selber erarbeiten. Der gegenwärtige GMD Markus Stenz kommt mit gerade mal drei Erwähnungen eindeutig zu kurz. Immerhin wird das von ihm initiierte „Go live“-Verfahren erwähnt, welches dem Besucher seiner Konzerte einen CD-Mitschnitt unmittelbar nach der Aufführung offeriert.
Möglicherweise steckt hinter dem Verfahren eine tiefere Absicht: keine ausufernden Abhandlungen, sondern knappe, überschaubare Kapitel, welche über das jeweils angeschnittene Thema rasche Information ermöglicht. Da hilft auch das Personenregister, während man das gänzliche Fehlen von Bildmaterial als schmerzlich empfindet. Insgesamt formuliert Fuhrmann erfreulich unakademisch, beherrscht sogar den „kölschen“ Zungenschlag, wo es gilt, den typischen Dom-Städter hieb- und stichfest zu charakterisieren. Nach der Lektüre des Buches fühlt man sich nicht erschöpft, sondern angeregt.