Übrigens …

Deutschlands Emigranten

Im schweizerischen Nimbus-Verlag ist jetzt ein sehenswertes Buch mit dem Titel Deutschlands Emigranten erschienen. Der 191seitige Band enthält unter anderem auch zahlreiche Aufnahmen des Fotografen Stefan Moses, die dieser von Schauspielern, Regisseuren und Komponisten gemacht hat, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Heimat in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei verlassen mussten. Sie flohen aus rassischen und politischen Gründen in die weite Welt, um den schrecklichsten Verfolgungen und Demütigungen deutscher Barbarei zu entkommen.

Moses machte die Aufnahmen von denjenigen, die nach dem Untergang der Nazi-Diktatur zurückkehrten in ihre alte Heimat. Manche für immer, andere nur zu Besuch. Der Fotograf erklärt seine Motivation damit, dass es seine Aufgabe sei, „Menschen festzuhalten, bevor sie verloren gehen.“ Die Texte zu den aussagestarken Schwarz-Weiß-Aufnahmen stammen von Christoph Stölzl.

Die 1920 in Berlin geborene Schauspielerin Maria Becker floh mit ihrer jüdischen Mutter über Österreich und England in die Schweiz. Die Perfektion ihrer Schauspielkunst, die sie am Wiener Reinhardt-Seminar erlernt hatte, öffnete ihr die Tür zum Züricher Schauspielhaus. Auch nach dem Krieg blieb sie im Land der Eidgenossen, obwohl sie auch in Deutschland Triumphe an den Bühnen feierte.

Therese Giese fehlt natürlich nicht in dem Buch. Die 1898 in München geborene Künstlerin entstammte aus der jüdischen Kaufmannsfamilie Gift. Schon 1926 war sie ein Star in den Münchner Kammerspielen. Mit Klaus und Erika Mann gründete sie 1933 das Kabarett „Die Pfeffermühle“, das jedoch nach nur knapp zwei Monaten von den Nazis aufgelöst wurde. Giese floh zu den Manns in die Schweiz. Bis 1937 noch versuchte das Trio in ganz Europa mit seinem Kabarett den Menschen die Augen über „das neue Deutschland“ zu öffnen. 1949 holte Bertolt Brecht sie an sein neues Berliner Ensemble, 1952 ging sie zurück an die Münchner Kammerspiele.

Der interessante Band erinnert auch an den Schauspieler Ernst Deutsch. Dessen berühmteste Rolle war nach 1945 Lessings Nathan der Weise, die er über 1.000 mal spielte. Aber auch die tragische Figur des jüdischen Kaufmanns Shylock gehörte zu seinen Glanzrollen im Nachkriegseuropa. 1890 in Prag geboren, war er in den 1920er Jahren der Star des expressionistischen Theaters und Films. In der Emigration in Hollywood gab man ihm Nazi- und Offiziersrollen. 1947 kehrte er nach Europa, dann nach Berlin zurück.

Zwei wunderbare Aufnahmen zeigen die Schauspielerin Tilla Durieux. Die 1880 in Wien geborene Mimin gewann europäischen Ruhm als Salome in Oscar Wildes Skandalstück. Weltberühmte Maler wie Corinth und Renoir malten sie, auch Kokoschka und Oppermann. 1933 emigrierte sie mit ihrem jüdischen Mann und arbeitete zunächst als Hoteldirektorin in Kroatien, später als Näherin am Puppentheater Zagreb. Ihr Mann wurde von den Nazis ermordet. Sie selbst kehrte 1952 nach Deutschland zurück.

Auch Fritz Kortner darf in diesem Buch nicht fehlen. Der Star des neuen expressionistischen Bühnenstils der 1920er Jahre ging just im Jahr der Machtergreifung Hitlers mit seiner Paraderolle des Shylock auf eine Auslands-Tournee, die ihn schließlich ins Exil führte. 1947 kam er zurück nach Deutschland und wurde laut Stölzl „zur verpflichtenden Theater-Autorität“. Mit vorbildlichen, psychologisch tiefgründigen Inszenierungen „gab er dem deutschen Theater die moralische Würde zurück, die es nach 1933 verloren hatte,“ heißt es im Text.

Der Band erzählt auch von dem 1893 geborenen Erwin Piscator. Der Pazifist gründete in Berlin das erste „proletarische“ Theater der Hauptstadt. Er brachte Foto-Projektionen, Filmeinspielungen und Simultanbühnen ins Theater. 1931 emigrierte er in die Sowjetunion, dann nach Frankreich und schließlich in die USA. 1951 vertrieb ihn McCarthys Kampagne gegen „unamerikanische Aktivitäten“ und er kam zurück nach Deutschland. In der jungen Republik zwang er mit seinem Theater die Deutschen zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Auch der 1926 als Sohn einer gutsituierten jüdischen Familie in Berlin geborene Peter Zadek wird gewürdigt. 1933 emigrierte die Familie nach England. 1958 kam der Mann, der von sich sagte: „Meine Lebensform ist Spielen“, nach Deutschland zurück. Seit damals revolutionierte er die bildungsbürgerlichen Staatsbühnen, konfrontierte Klassik mit Boulevard- und Pop-Elementen und mischte das Erhabene, Erschütternde, das Grelle und Ironische zu provozierenden Erlebnissen. Eine Aufnahme zeigt ihn mit der Schauspielerin Eva Mattes 1980 an der Berliner Volksbühne. – Andreas Rehnolt