Große Musik

Wenn die Werke eines großen Komponisten und ein großer Oboist aufeinander treffen, sind die Erwartungen des Hörers selbstverständlich hoch. Die neue CD Stefan Schillis erfüllt jede Erwartung und lässt darüber hinaus staunen. Mit fünf hervorragenden Musikerkollegen hat Schilli hier Kammermusik André Jolivets eingespielt - keine Kleinode mit Mauerblümchencharme, sondern schlicht große Musik. Man mag diese CD gleich wieder einlegen, sobald der letzte Ton verklungen ist.

Schilli geht mit großem Ton an diese Musik heran, intoniert immer perfekt, glänzt mit blitzblanker Technik und wunderbarer Musikalität. Die Virtuosität des Oboisten lässt nicht erkennen, wie anspruchsvoll diese Werke für den Bläser tatsächlich sind.

Das leuchtend gelbe Cover mit rotem und grünem Schriftzug ist gut gewählt und lässt erahnen, dass hier ein akustisch extrem frisches Produkt vorliegt. Das dreisprachige, informative Booklet allerdings lässt ein bisschen stutzen, kommt doch zuerst beidseitig ein französischer Text daher, danach teilen sich deutscher und englischer Text jeweils die linke und rechte Seite und fordern geläufiges Umblättern.

André Jolivet schrieb Controversia für Oboe und Harfe für das Ehepaar Heinz und Ursula Holliger. Ein paar moderne Spieltechniken sind bei beiden Instrumenten auf Wunsch Holligers mit dabei. Jolivet hat diese Techniken (Flatterzunge, Multiphonics u.a.) homogen in die Komposition mit einbezogen, sie wirken deshalb nicht als effekthaschende Verzierungen sondern sind notwendiger Teil des Ausdrucks. Intime Momente und temperamentvolles Aufeinandertreffen machen die Spannung aus - das letzte Wort allerdings hat die Harfe.

Die Suite liturgique pour voix, cor anglais (prenant le hautbois) violoncelle et harpe ist das längste Werk der CD und ursprünglich als Bühnenmusik gedacht. Englischhorn und Violoncello beginnen, verzaubern mit Wohlklang und Dynamik, um sich anschließend delikat zurück zu halten. Das folgende Salve Regina unter Einbeziehung des Soprans klingt betont sakral, im Alleluia liefern sich Oboe und Sopran wunderschöne Duette mit wenigen hohen Tönen. Die Musette im entspannten Volksliedton lässt traumhafte Landschaften vorbeiziehen. Benedictus ist ein Ort der Ruhe und des Wohlklangs, im Interlude zaubern Englischhorn und Violoncello ein weiteres Mal gemeinsam. Das Final steigert sich melodisch und dynamisch, alles klingt dabei total entspannt. Das Zusammenspiel ist hier, wie bei jedem Werk dieser CD, schlecht perfekt.

Einen Hauch Fernweh bringt der kurze Chant pour les piroguiers de l‘Orénoque pour hautbois et piano, die Sonatine für Oboe und Fagott zeigt beide Instrumente im vitalen Dialog - grandios!

Die Sérénade pour hautbois et piano André Jolivets gibt dem Oboisten die Möglichkeit, sein Instrument in aller Schönheit und technischer Brillanz vorzustellen. Höchst virtuos und musikalisch komplex hat Jolivet hier freudig eine turmhohe technische Klippe an die andere komponiert. Schilli nimmt sie perfekt, in vollem Schwunge und anscheinend lächelnd. Schöne Kantilenen, rasante Passagen und expressive Dynamik zieren das Werk, burschikos geht es mit dem Marche burlesque zuende.