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Die Operette - in die Jahre gekommen, dennoch zukunftsträchtig

Am 29. Juli starb Peter Minich, eine der großen Sängerpersönlichkeiten im Bereich der Operette, auf welche er freilich nicht in Gänze festzulegen war. Aber vor allem diesem Genre gehörte seine ganze Zuneigung. Mit seinem Tod geht ein Stück Operettengeschichte zu ende. Unwiederbringlich? Manches spricht dagegen. Im Moment gibt es beispielsweise Piotr Beczala. „Ich will das Publikum, aber auch die Dirigenten ermutigen, das Genre ernst zu nehmen“, erläutert der polnische Tenor seinen Einsatz für die Operette. Vor einiger Zeit hat er ein CD-Recital (Mein ganzes Herz, DG) vorgelegt, welches dem Andenken Richard Taubers gewidmet ist. An der Dresdener Semper-Oper wirkte der Sänger bei einem Lehár-Konzert mit, welches von keinem Geringeren als Christian Thielemann dirigiert wurde, sonst eher Anwalt für Wagner und Strauss. Eine ganz frische CD-Veröffentlichung gibt es mit Diana Damrau: Forever - Unforgettable Songs from Vienna, Broadway and Hollywood. Die Sängerin, welche in ihrer Jugend gerne Operettenaufnahmen mit Anneliese Rothenberger und Lucia Popp hörte, zu ihrem Album: „Die Operette hätte einen besseren Ruf verdient, denn sie erreicht nicht nur unsere Herzen, sondern sie erzählt auch von den Irrungen und Wirrungen des Lebens.“

Die Operette scheint also nicht ganz aus der Mode zu kommen, obwohl es sich feuilletonistisch nicht gerade wie ein Lauffeuer verbreitet, wenn für Eduard Künnekes Der Vetter aus Dingsda in Karlsruhe mühsam die Originalinstrumentation rekonstruiert wurde (ein Dauerproblem bei diesem Genre) oder an der fernen Nationaloper Athen eine Produktion von Halima (1926, Komponist: Sakellaridis Theophrastos) daran erinnert, dass die Operette nicht nur eine deutsch-österreichische Angelegenheit ist. Die Phonoindustrie bleibt ebenfalls rührig, auch wenn sie meist, wie jetzt etwa EMI, kostensparend auf Archivbestände zurückgreift. Dies ist der Fall bei einer 5-CD-Anthologie mit Werken Franz Lehárs, deren Aufnahmedaten bis ins Mono-Zeitalter zurückgreifen, was auch für die etwas breiter angelegten Legenden der Operette (10 CDs) gilt. Ein Sony-Duett-Recital von Angelika Kirchschlager und Simon Keenlyside („Dein ist mein ganzes Herz“) hält sich seit 2007 auf dem Markt.

Auch das Label Line gibt sich operetten-aktiv und bietet derzeit Oskar Nedbals Polenblut (Berliner Rundfunk 1952, Dirigent: Otto Dobrindt), Walter W. Goetzes Page des Königs (ORF 1947, Dirigent: Max Schönherr) und Rudolf Kattniggs Bel Ami (ORF 1959, wiederum unter Schönherr). Die Quelle dieser Einspielungen ist nicht bekannt, manche jedoch sind erkennbar Kopien von Aufnahmen, die andere Labels kostenaufwändig auf den Markt gebracht haben. In jüngster Zeit war dies der Fall bei Lehárs Land des Lächelns (Live-Auftritt von Rudolf Schock 1958 in Braunschweig), ursprünglich bei Relief erschienen. Mitunter überleben aber diese Kopien die Originalveröffentlichungen um Jahre.

In seinem „Großen Operettenbuch“ hat der vor allem als Opernführer-Autor bekannte Heinz Wagner 1997 wesentlich mehr Werke aufgeführt, als wie sie die gegenwärtigen Theaterspielpläne aufweisen. Wenige Jahre zuvor brachte Volker Klotz seine tiefschürfende Enzyklopädie „Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“ heraus. In dieser analytisch sehr akribischen Edition (inzwischen erweitert) werden Aufstieg und Niedergang des Genres ohne Beschönigung geschildert, traditionelle Qualitätsgewichtungen neu be- und hinterfragt, wobei der Operette allerdings generell Zukunftschancen eingeräumt werden. Die Voraussetzung hierfür ist freilich eine Binsenweisheit: Kunst kommt von Können. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper Berlin, gerade als „Opernhaus des Jahres gekürt“, macht da gerade die Nagelprobe, wobei er zugibt: „Es ist zehnmal schwerer, Frau Luna oder Ball im Savoy auf die Bühne zu bringen als den Ring des Nibelungen.“ Die Botschaft, kurz gefasst: Spielt mehr Operette, aber holt Euch nur die besten Interpreten.

An dieser Stelle ist der grundsätzlich wichtige Aspekt des Szenischen zu vernachlässigen, geht es doch alleine um diskografische Kriterien. So sei auch ein kurzer Rückblick in die Schallplatten-Geschichte gestattet. Die Fledermaus von Johann Strauß war 1907 (neben Ruggiero Leoncavallos Pagliacci) die erste Gesamtaufnahme eines Bühnenwerkes überhaupt. Konsequent wurde Operettenpflege freilich erst (begrenzt) in den 50er Jahren von EMI betrieben. Das von der labelgebundenen Diva Elisabeth Schwarzkopf als „Champagner-Operetten“ bezeichnete Unternehmen (4x Strauß, 2x Lehár) wurde wesentlich vom Dirigenten Otto Ackermann geprägt (die Fledermaus reservierte sich Herbert von Karajan). Zwei Jahrzehnte später engagierte sich EMI neuerlich und brachte die damaligen Aufnahmen derzeit peu à peu neu heraus, inklusive Mono-Einspielungen vor 1960 wie schon erwähnt, u.a. mit Erika Köth und Rudolf Schock. Dem Folgepaar Anneliese Rothenberger/Nicolai Gedda stellte Ariola/Eurodisc später das Gespann Margit Schramm und (neuerlich) Rudolf Schock gegenüber (oft in Form von auch bei EMI gepflegten Querschnitten).

Auch im Ausland wird das Repertoire deutsch-österreichischer Prägung durchaus gepflegt. Eine Naxos-Veröffentlichung offeriert beispielsweise Leo Falls Rose von Stambul in einer Aufführung der Chicago Folks Operetta. Die englische Sprache mutet etwas kurios an. Da aber ein Teil der Handlung im türkischen Istanbul spielt, ist das eigentlich operettentypische Wiener Milieu ohnehin nur am Rande von Belang. An die Interpretation darf man besondere Ansprüche sicher nicht stellen, wobei der Tenor Gerald Frantzen (Achmed Bey) die problematischste Besetzung darstellt. Da muss man nicht einmal daran erinnern, dass die beiden von Franz Marszalek am Westdeutschen Rundfunk realisierten Gesamtaufnahmen mit Rudolf Schock (1950) und Fritz Wunderlich (1959) die tenorale Crème de la Créme aufzubieten imstande waren (dafür aber leichte Defizite bei der Besetzung der zentralen Sopranpartie aufwiesen). Doch sollte man froh sein, die Fall-Operette einmal geschlossen hören zu können. Der beste Sänger des Ensembles ist der Buffo-Tenor Erich Buchholz (der Name klingt nach deutscher Herkunft), der bei vielen der Chicago-Produktionen mitwirkte, deren Werktitel durchaus einmal Anlass zum Nachforschen geben wollte.

Den Übergang zur echten amerikanischen Operette (die später ins Musical mündete) zu beschreiben, wäre ein eigenes Kapitel. Victor Herbert gilt als ihr Begründer, doch ist er von Geburt aus Ire. Er studierte am Stuttgarter Konservatorium Cello (sein einschlägiges Konzert gibt es derzeit mit Gautier Capucon). Zur leichten Muse kam er u.a. durch seine Mitwirkung in der Wiener Kapelle von Johann Strauß. Eileen (1917) nennt sich zwar eine „romantic comic opera“, was aufgrund bestimmter kompositorischer Techniken (viel Melodramatisches zu Beginn) sicher nicht ganz falsch ist. Doch insgesamt ist der musikalische Stil als operettenhaft zu bezeichnen. Die Handlung bietet eine komplizierte Lovestory im Schmuggler-Milieu vor dem Hintergrund patriotischer Bestrebungen im Irland des ausgehenden 18, Jahrhunderts. Ursprünglich hieß die Operette Hearts of Erin, für die endgültige Fassung komponierte Herbert einige neue Nummern. Die Produktion mit dem Orchestra of Ireland unter David Brophy bietet die ausgesonderten Titel als Appendices und ist damit authentischer als jene der Ohio Light Opera von 1998, die auch mit nur einer CD auskam. Die neue Einspielung besitzt viel Feuer; den sympathischen Stimmen des jungen Liebespaares (Lynda Lee, Eamonn Mulhall) lauscht man gerne. Ob Eileeen aber jemals eine deutsche Bühne erreichen wird?

Aus den USA stammen übrigens zwei Sängerinnen, die sich der Operette (unterschiedlich) intensiv verschrieben haben. Melanie Holliday wurde in Houston geboren und absolvierte zunächst eine Ballettausbildung, was ihr später auf der Bühne zu Gute kam. Doch dann wechselte sie zum Gesang, zunächst im Bereich der Oper. Das hört man auf einem Acanta-Doppelalbum vor allem dem Adele-Couplet „Mein Herr Marquis“ (Fledermaus) an. In Aufnahmen der 80er Jahre präsentiert sich die Sängerin in bestem Deutsch und mit viel Charme in ihrem nunmehrigen Repertoire, mit Partnern wie Rudolf Schock, René Kollo, Peter Minich und Steven Kimbrough. Dass in der mit Musical- und Filmtiteln angereicherten Edition Angaben zu Dirigenten und Aufnahmedaten fehlen, ist leider ein arger Schönheitsfehler. Dem Porträt von Julia Migenes (ehemals Acanta, nun Documents) ist dies nicht anzukreiden. Die wieder aufgelegten Titel stammen aus einer Aufnahmeserie der Künstlerin beim Westdeutschen Rundfunk (Dirigent: Curt Cremer). Die Tochter eines Portorikaners und einer Griechin kam ebenfalls in den USA zu Welt, genauer: in New York, wo sie später an der Metropolitan Opera auftrat. Dass sie u.a. Bizets Carmen und Bergs Lulu verkörperte, ist ein Hinweis auf die Attraktivität ihrer Erscheinung, aber auch auf vokale Variabilität. Die 1949 geborene Sängerin tritt weiterhin auf.

Die Pflege der Operette, die als Genre nach 1945 kaum noch „Nachschub“ erhielt, ist in besonderem Maße dem Rundfunk zu danken. Bei den beiden als Nordwestdeutscher Rundfunk bis 1956 zusammengeschlossenen Sendern von Hamburg und Köln setzte die Nordstadt Schwerpunkte u.a. mit Offenbach (Dirigenten vor allem Wilhelm Stephan und Feuerwerk-Komponist Paul Burkhard), während Franz Marszalek in Köln gemäß persönlicher Vorlieben Leo Fall, Walter W. Goetze und seinen Freund Künneke favorisierte, ohne damit einseitig zu sein. In einer schon etwas zurückliegenden Edition von Documents wurden viele dieser Archivschätze veröffentlicht - eine Großtat. Berücksichtigt wurden auch Einspielungen des Bayerischen und Hessischen Rundfunks sowie des RIAS Berlin. Bei den Münchner Aufnahmen unter Werner Schmidt-Boelcke lässt sich eine besondere Linie nicht ausmachen, der RIAS ist ohnehin nur mit zwei Aufnahmen vertreten, der HR gar nur mit einer. Ergänzt wurde die Anthologie mit einer Fülle attraktiver Bonus-Titel, die in einer neuen, kostensparenden Ausgabe weggelassen wurden.

Mit Jacques Offenbach fing - pauschal formuliert - die Operette an. Er schuf ein Genre mit „Biss“, welches sich dann später oft in biederer Volkstümlichkeit oder Sentimentalität (Lehár) verhedderte. Die großen gesellschaftskritischen Werke Offenbachs (ab Orphée aux enfers) hatten freilich ihre Vorläufer. Bedingt durch aufführungspraktische Beschränkungen für seine Bouffes-Parisiens schrieb Offenbach zuvor nämlich eine Vielzahl musikalischer Komödien ohne Chor und mit selten mehr als vier Personen. Dies war etwa der Fall bei Un mari à la porte (Der Ehemann vor der Tür). Der Titel deutet den kapriziösen Inhalt zur Genüge an. Sieht man von einer historischen Kölner Rundfunkeinspielung unter Franz Marszalek ab, wurde der Einakter bislang noch nie aufgenommen. Die Lücke schlossen vor einiger Zeit Vasily Petrenko und das Royal Liverpool Philharmonic (mit den Fables de la Fontaine als Bonus) auf orchestereigenem Label. Warum gerade aus England, könnte man fragen. Doch vergessen wir nicht Arthur Sullivan, der mit seinem Operettenwitz Offenbach sehr nahe steht. Und so läuft jetzt musikalisch alles wie am Schnürchen. Die Dialoge werden übrigens von Schauspielern übernommen, eine Methode, gegen die nichts einzuwenden ist, wenn es so bruchlos gelingt wie in diesem Falle. Es geht freilich auch anders, wie ein CD-Dokument von ganz besonderer Art beweist. Der legendäre Carlos Kleiber war zwar vorrangig ein Sachwalter ausgewählter E-Musik, besaß aber auch ein Händchen für das „Leichte“ (Fledermaus, Wiener Neujahrskonzerte). Die erste Premiere in seiner Düsseldorfer Kapellmeisterzeit (1957-1964) war ein Abend „3 x Offenbach“, was sicher nicht ganz seinen Ambitionen entsprach. Aber der Livemitschnitt vom 1.12.1962 (das junge ZDF filmte die Aufführung) besitzt reichlich Esprit, ungeachtet klangtechnischer Defizite. Die Reaktionen des Publikums zeigen, dass offenbar auch das visuelle Element des Abends (Inszenierung: Günter Roth) gelungen war. Und die Sänger sind allesamt exzellente Darsteller (und Sprecher), in Sonderheit die Sopranistin Eva Kasper. Eine Aufnahme, an der Operettenfreunde nicht vorbeigehen sollten,

Während Offenbach auch ein glänzender Bühnendramaturg war, genügten dem Wiener Carl Michael Ziehrer biedere, gemütvolle Sujets (Fesche Geister, Liebeswalzer, Das dumme Herz u.a.), die er mit hübscher, aber vielfach austauschbarer Musik einkleidete. Der Titel Herr und Frau Biedermeier könnte also überall als Motto gelten. Volker Klotz erwähnt Ziehrer in seinem Operetten-Buch an gerade mal drei Stellen, ohne auf Person oder Werke näher einzugehen. Das kommt einem Vernichtungsurteil gleich. Ähnlich verfährt er übrigens mit dem Operetten-Doyen Robert Stolz. Die Musik Ziehreres besitzt freilich Charme und Schmiss. Das lässt sich anhand einer umfangreichen Kollektion des Labels „Capriccio“ überprüfen. Diese Zusammenstellung rekrutiert sich in Sonderheit aus Einspielungen mit dem C. M. Ziehrer-Orchester unter dem einschlägig versierten Hans Schadenbauer, der sich im Booklet auch über die einzelnen Werke äußert. Er hat allerlei sympathische Sänger um sich versammelt, die das leichte Genre mit Laune angehen. Die etwas ältere Generation ist u.a. mit Renate Holm, Ruthilde Boesch, Liselotte Maikl, Anton Dermota, Karl Terkal und dem zu Beginn erwähnten Peter Minich vertreten. Auch mit dabei: Harald Serafin, bis vor kurzem Leiter der Seefestspiele Mörbisch, die jetzt unter Leitung der Sopranistin Dagmar Schellenberger stehen und sich mit einem CD-Querschnitt aus der (nicht sonderlich gelobten) Eröffnungsaufführung (Millöckers Bettelstudent) in Erinnerung bringen. Zu den Ziehrer-Dirigenten zählen Franz Bauer-Theussl und vor allem Max Schönherr, der noch im hohen Alter eine Dissertation über den Komponisten vorlegte. Von Herbert Mogg gibt es Aufnahmen aus diversen Rundfunkanstalten. Wenn man sich auf die Musik konzentriert, ohne groß nach „Hintergründen“ zu fragen, macht die Ziehrer-Anthologie viel Freude.

Lehár vertritt mit Werken, in denen die Zähre besonders intensiv rinnt, einen noch stärkeren Gegentyp zu Offenbach. Bereits der Übergang von der „goldenen“ zur „silbernen“ Operette ist ein Aufweichungsprozess, welcher dann von den Nazis durch „arische“ Vorgaben“ auf die Spitze getrieben wurde. Nach 1945 standen generell Überlegungen an, ob das „Traumland“ (Künneke) Operette nicht tatsächlich schon längst als Auslaufmodell eines überholten Geschmacks betrachtet werden musste. Eine der jüngsten EMI-Wiederveröffentlichungen (die herzschmerzige Giuditta Lehárs mit Edda Moser) gibt neuerlich Anlass zum Nachfragen).

Derzeit kann man die zwei Seelen in der Brust des Franz Lehár zwischen frivolem Lustspiel à la Lustige Witwe und opernhafter Tragödie à la Land des Lächelns (oder auch der eben erwähnten Giuditta) bei zwei Operetten-Gesamtaufnahmen des Raritäten-Labels cpo besonders gut studieren. Das Fürstenkind ist eine Mixtur von Robin-Hood-Abenteuer und Wirtshaus im Spessart. Heiteren Episoden in dieser musikalischen Räuberpistole stehen etliche schwermütige Szenen gegenüber, und die Möglichkeit, ein Intermezzo mit dem Titel „Resignation“ unterzubringen, zog den Komponisten mächtig an. Vielleicht auch wegen der kompositorisch anspruchsvollen Struktur (u.a. viele melodramatische Szenen) konnte sich das Fürstenkind nach der Uraufführung 1909 nicht langfristig halten. Eine für Berlin geplante Produktion mit Richard Tauber scheiterte, die realisierte Version mit dem Bassbariton Michael Bohnen (Werktitel jetzt Der Fürst der Berge) kam beim Publikum nicht an. Ob die konzertante Aufführung von 2010 mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer (auch auf dem Gebiet der Oper ein Archäologe) Folgen hat, bleibt abzuwarten. Immerhin steht jetzt der Mitschnitt zum vertiefenden Nachhören zur Verfügung, was alleine wegen der lebendig agierenden Sänger (Chen Reiss, Mary Mills, Matthias Klink, Ralf Simon) Freude macht.

Bessere Zukunftschancen dürfen für den Göttergatten (1904) angenommen werden. Bei dessen Musik steht die Lustige Witwe quasi ante portas: eine spritzige Partitur von A bis Z. Die Stoffvorlage, Heinrich von Kleists Amphitryon, hatte übrigens auch Eduard Künneke angeregt (Die Ehe im Kreise). Bei der Lehár-Version ist es eine besondere Pointe, dass nicht Alkmene, Synonym für eheliche Treue, der Gefahr eines Seitensprungs ausgesetzt ist, sondern dass Juno in deren Gestalt ihren erotisch umtriebigen Gatten Jupiter in die Mangel nimmt. cpo macht eine Einspielung des alten Österreichischen Rundfunks von 1945 zugänglich, die (wie zuvor andere Werke) von Franz Lehár eigentlich selber hätte dirigiert werden sollen. Doch er musste krankheitshalber durch Max Schönherr ersetzt werden - künstlerisch wahrlich kein Defizit. Die Produktion ist ausgesprochen spritzig und lässt glauben, dass das Werk in guter Regiehand auch heute Erfolg haben müsste. Das aus Sängern (u.a. Anton Dermota) und singfähigen Schauspielern (wohl noch heute ein Begriff: Fred Liewehr) gemischte Ensemble sprüht nur so vor Operettenlaune.

Eine eigentümliche Spätgeburt der Operette ist Erich Wolfgang Korngolds Stumme Serenade, die allerdings nicht die explizite Genrebezeichnung als Untertitel trägt, sondern sich „musikalische Komödie“ nennt. U.a. mit diesem Stück wollte sich der Emigrant Korngold in Europa neu etablieren. Um leichter Aufführbarkeit willen schrieb er nur eine kleine Besetzung vor. Die süffige Stilmixtur der Musik wurde bei der Dortmunder Uraufführung 1954 als etwas gestrig empfunden, aber vielleicht spielte auch das landläufige Naserümpfen über Korngolds Hollywood-Karriere eine Rolle. Die reichlich verworrene Handlung um die Liebe des Schneiders Andrea Coclé zur Schauspielerin Silvia Lombardi war einem Erfolg wohl auch nicht förderlich. Gleichwohl besitzt die um 1820 spielende Story Charme. Und der kommt in der Aufführung der Young Opera Company (1993 in Freiburg gegründet) sehr schön heraus: junge Sänger mit Pfiff und Ausstrahlung, acht souveräne Musiker (Holst-Sinfonietta unter Klaus Simon) - ein Ensemble, welches das Stück launig auf den Weg bringt.

Wer hat schon mal von Gustave Kerker gehört? Selbst Speziallexika sind zurückhaltend bezüglich des deutschstämmmigen Komponisten mit USA-Karriere (1847-1923). Dabei war er zu Lebzeiten ein erfolgreicher Komponist, wenn auch nicht gerade auf dem Olymp angesiedelt. Die Zeit ist dann über ihn hinweg gegangen, für eine Wiederbelebung hapert es heute alleine an der Beschaffung von Notenmaterial. So muss man dem NDR Hannover herzlichst danken, dass er einige Werke dennoch ans Tageslicht gebracht hat, nämlich Die oberen Zehntausend und Burning to sing, oder Sing to burn (musikalische Gesamtaufnahmen) sowie The Belle of New York (instrumentaler Querschnitt im Arrangement von Charles Godfrey jr.). Die Untertitel dieser Werke wie „amerikanische Tanzoperette“ oder (parodistisch gemeint) „Very grand opera“ unterstreichen die stilistische Vielfalt Kerkers, der auf die Entwicklung des Musicals nicht wenig Einfluss nahm. Seine Musik ist ausgesprochen eingängig und schmissig, die Sujets vergnüglich. Freilich gibt es heute kaum noch Theater, von denen ein Engagement für diese Werke zu erwarten stünde. Vielleicht die Staatsoperette Dresden, deren Logo auf der Kassetten-Rückseite prangt, ohne dass klar würde warum. Die Palme gebührt ohnehin dem NDR und seiner Radiophilharmonie Hannover, die unter dem vielseitigen Howard Griffiths Kerkers Musik prickelnd serviert. Das Sängerensemble gibt sich ausgesprochen launig. Höchstwertung für diese Trouvaillen aus dem Gebiet der leichten Muse.

PS: Gerade konnte man die Ankündigung des Theaters Gießen lesen, Kerkers Die oberen Zehntausend am 30. November zur Premiere zu bringen. Hat das die oben beschriebene Aufnahme bewirkt? Wie auch immer: manchmal darf man (dank rühriger Theater) für die gute, alte Operette doch noch hoffen.