Übrigens …

„More than just interesting“ – Musik als Haltung

Helmut Lachenmann, unstrittig einer der wesentlichen Komponisten der Gegenwart, ist außerhalb der Neue-Musik-Szene kaum bekannt. Daran ändern auch die wenigen, stets ausverkauften Inszenierungen seines Musiktheaters Das Mädchen mit den Schwefelhölzern (zuletzt bei der diesjährigen Ruhrtriennale) kaum etwas.

Die vorliegende, in den USA aufgenommene und produzierte DVD zeigt eine Art Querschnitt durch Lachenmanns Kompositionen von den 60er- bis in die 90er-Jahre und ist geeignet, neugierig darauf zu machen, dieser außergewöhnlichen Musik auch einmal live zu begegnen.

Das umfangreichste und wohl auch wesentlichste Stück ist …Zwei Gefühle: Musik mit Leonardo… für Sprecher und Instrumentalensemble aus dem Jahr 1992. Lachenmann komponiert auf einen Text von Leonardo da Vinci, den er später auch im Mädchen verwendet hat. Zwei Gefühle ist in gewisser Weise Aktionskunst. Die Instrumentalisten raunen, schnalzen oder brüllen stets solistisch und entlocken ihren Instrumenten immer wieder reichlich unakademische Töne. Lachenmann spaltet den Text in Silben auf und spricht ihn trotzdem geradezu erschütternd klar und unaffektiert. Seine Musik nimmt zwei wesentliche Impulse des Textes auf: das eruptive Moment – Leonardo beschreibt die ungeheure Kraft eines Vulkanausbruchs – und die Ambivalenz der Empfindungen eines Menschen, der vor einer dunklen Höhle steht. Er hat Angst in Gefahr zu geraten und Sehnsucht, das Dunkel zu lüften, dem Ort sein Geheimnis zu entreißen. Diese Impulse verbinden sich bei Lachenmann zu Selbstbehauptung. Das Individuum steht für sich, verantwortet sich selbst, macht seine eigenen Entdeckungen, ist ganz bei sich. Daraus resultiert Schönheit – und Wut.

In den anderen, kürzeren Stücken geht der Komponist sozusagen an die Wurzeln der Musik an sich zurück, zu den Ur-Kategorien Ton, Klang und Geräusch. Das einfache ‚Pling‘ am Ende von Guero, wo der selbst spielende Komponist das Klavier ansonsten als schräges Percussionsinstrument verwendet, der kurze, klare, von Pedalhall befreite Schlusston der Miniatur Filterschaukel wirken in diesem Umfeld fast wie die Erfindung des Rades. Ein Hauptakzent liegt auf dem Prozess der Tonproduktion, was auch die Bildregie durch lange Großaufnahmen von Händen, Füßen und Mündern immer wieder betont. Bei Pression für Solo-Cello wird Lauren Radnofsky von der Komposition durch nahezu alle Möglichkeiten geführt, wie man dem Instrument ein Geräusch entlocken kann. Und trotzdem findet beseelte Musik statt, spürt man „the presence of a creative spirit“, wie Lachenmann selbst im beigegebenen Interview Kunst definiert.

Dieses etwa 15minütige, auf Englisch geführte Gespräch ist nicht nur eine echte Rarität – Lachenmann ist nicht eben als Plaudertasche bekannt – sondern auch abseits seines dokumentarischen Wertes hoch spannend, vermutlich auch für den Kunst- und Kulturinteressierten, der mit seiner Musik eher wenig anfangen kann. Das junge Publikum an der Columbia University lauscht seinen zurückhaltend vorgebrachten, aber sehr entschiedenen und persönlichen Ausführungen über Kunst und Kunstproduktion geradezu gebannt.