Verdi at the Met

Das Wagner-Verdi-Britten-Jubiläumsjahr ist gerade zu Ende gegangen. Alle drei Komponisten wurden mit umfangreichen CD-Editionen gewürdigt. Auch der Tod von Francis Poulenc vor fünfzig Jahren hatte etliche Publikationen zur Folge. An dieser Stelle Verdi mit einer repräsentativen Auswahl seiner Werke, wie sie an einem der bedeutendsten Opernhäusern der Welt, der New Yorker Metropolitan, in lange zurückliegenden Jahrzehnten aufgeführt wurden. Die hier nur angedeutete Fülle von Dokumenten verdankt sich der Tatsache, dass aus der Met bereits seit den dreißiger Jahren zu nachmittäglicher Stunde regelmäßig im Radio übertragen wurde, eine Tradition, die sich - leicht modifiziert - bis heute erhalten hat. Die vom Label Sony ausgewählten Aufführungen beginnen aufführungsstatistisch 1935 und enden 1967, eine akzeptable Entscheidung. Seltsam mutet es hingegen an, dass zentrale Opern wie Trovatore (Troubadour) und Don Carlo fehlen, obwohl es von diesen Werken Met-Aufführungen ebenso gibt wie von Ernani, Luisa Miller und Les vêpres siciliennes (I vespri siciliani/Die sizilianische Vesper). Der früheste Don Carlo (1950) wartet sogar mit vier spektakulären Met-Debüts auf, was den Verzicht noch kurioser erscheinen lässt. Im Folgenden seien die Aufführungen in der Entstehungschronologie der Werke betrachtet.

Die früheste Verdi-Oper in der Met-Kollektion ist Nabucco. Sie bedeutete für den Komponisten der Durchbruch. Insgesamt wirkt das Werk dramaturgisch wie musikalisch allerdings etwas plakativ, so dass kein Regisseur von heute zu beneiden ist. Welche szenischen Qualitäten die New Yorker Aufführung vom 3. Dezember 1960 besaß, muss offen bleiben; Fotos im Booklet lassen an eine malerisch konventionelle Umsetzung glauben. Thomas Schippers dirigiert ebenso vital wie differenziert. Die stimmliche Wucht bei den zentralen Rollenträgern hat das damalige Publikum nachhaltig begeistert; doch auch Nebenfiguren sind exzellent besetzt, so Fenena mit Rosalind Elias und Ismaele mit Eugenio Fernandi, sonst eigentlich in führenden Partien tätig. Cesare Siepi (Zaccaria) erweist sich einmal mehr als Ausdrucks-Belcantist der Spitzenklasse. In der Titelpartie beweist der vokal potente Cornell MacNeil, dass er neben Leonard Warren und Robert Merrill zu den führenden Bariton-Vertretern des Hauses gehört. Die an der Met immer besonders geschätzte Leonie Rysanek glüht als Abigaille derart, dass ein Vergleich mit Maria Callas (Neapel 1949) angemessen scheint.

Sie ist auch im Macbeth-Mitschnitt vom 21. Februar 1959 zu hören. Diese Oper ist übrigens die einzige, mit welcher die Met in der Zeit um 1960 auch ins Aufnahmestudio ging. Erst unter James Levine passierte das später häufiger. Man wählte in New York nicht die Urfassung von 1847, sondern die Überarbeitung von 1865, schob vor den finalen Siegesgesang aber das ursprünglich vorgesehene Arioso des Titelhelden ein. Erich Leinsdorf, Wiener von Geburt, kam in die USA nicht aus politischen Gründen, sondern weil ihn die Met engagiert hatte. Leinsdorfs Repertoire war breit gestreut, auch wenn ein gewisser Schwerpunkt auf Wagner lag. Aber er war auch ein elektrisierender Italianità-Dirigent. Wie in Nabucco sind selbst relativ kleine Partien mit ersten Sängern besetzt, so der Macduff mit Carlo Bergonzi, der Banquo mit Jerome Hines. Mit der Lady Macbeth kommt Leonie Rysanek, was die bis ins Hysterische hinein vorangetriebene Ausdrucksglut betrifft, der einzigartigen Maria Callas neuerlich sehr nahe. Leonard Warren überzeugt in der Titelpartie nicht nur durch seinen exzellenten Vokalstil, sondern gibt mit seinem etwas verhangenen Timbre das überzeugende Porträt eines Feldherren, der sich zwischen Machtehrgeiz und Persönlichkeitsschwäche zerreibt.

Das kulinarische Opernverständnis des Met-Publikum (auch noch heute?) wird beim Rigoletto-Mitschnitt vom 29.12.1945 besonders deutlich. Der Beifall nach Leonard Warrens „Pari siamo“ steht noch im Raum, da braust er erneut auf, als Bidú Sayao als Gilda die Bühne betritt. Diese New Yorker „Star“-Begrüßung ist ein lästiges, boulevardeskes Ritual. Es wurde bei Gildas Arie sogar einkalkuliert, indem der (insgesamt kompetente) Dirigent Cesare Sodero gezielt eine „Beifallspause“ ansteuert, um nach dem Applaus den Rest der Nummer nachzuholen. Dass Warren für seine Gestaltung der Titelfigur jeden nur erdenklichen Beifall verdient hat, soll freilich keinem Zweifel unterliegen. Sein Bariton verfügt über alle Farben des Zornes, des Schmerzes, der Rachgier. Wenn er wehklagend seiner geraubten Tochter nachstürzt, bekommt man als Hörer eine Gänsehaut. Dass sich Warren gelegentlich kalkuliert als Stimmbesitzer in Szene setzt, sei ihm nachgesehen. Mit dem schneidig und frisch gesungenen Herzog überbrückte Jussi Björling in dieser Vorstellung seine kriegsbedingte Abwesenheit von der Met nachgerade symbolhaft, hatte er diese Partie doch auch in der letzten Vorstellung des Hauses vor Kriegsende gesungen. Vor Ort äußerst beliebt war die brasilianische Sopranistin Bidú Sayao, die immer so gerne Puccinis Butterfly gesungen hätte, dies dann klugerweise aber doch nicht tat, denn ihr Sopran war nun einmal ein fragiles Instrument (Toti dal Monte und Erna Berger haben es dennoch gewagt). Als Gilda ist die Sayao allerdings kein Püppchen, sondern eine Frau mit intensiven Gefühlsregungen. Manchmal tut sie bezüglich emotionaler Nachdrücklichkeit sogar zu viel des Guten wie in der zweiten Begegnung mit ihrem Vater. Die Partien von Maddalena und Sparafucile sind bei Martha Lipton und Norman Cordon bestens aufgehoben.

Mit dem 5.1.1935 ist der Traviata-Mitschnitt das älteste Dokument der Sony-Kassette, was zwangsläufig bedeutet, dass klangliche Defizite in Kauf zu nehmen sind. Aber diese Aufführung lohnt das wahrlich. Ettore Panizzas flammendes Dirigat lässt sofort aufhorchen, bei Ballo in maschera und Otello wird auf diesen eigentlich immer nur beiläufig gewürdigten Maestro nochmals zurückzukommen sein. Die Hauptpartien sind komplett mit amerikanischen Sängern besetzt. Im Gegensatz zu seinem Jago von 1940 (s. Otello-Kapitel) ist Lawrence Tibbett nicht nur optimal bei Stimme, sondern erfüllt selbst für kritische Ohren alle Belcanto-Normen. Vom Tenor Frederick Jagel sind vor allem Aufnahmen aus seiner Spätzeit vorhanden, als er bereits im Charakterfach tätig war. Neben einer Lucia (mit Lily Pons) ist der Alfred in der vorliegenden Traviata ein beeindruckender Nachweis für sensibles, aber immer auch schwungvolles Singen. Und dann Rosa Ponselle in der Titelpartie. Über die Künstlerin sind schon viele euphorische Worte gefallen; ihnen ist nichts hinzuzufügen. Folgender Satz sei aber doch zitiert: man werde „zu den Engeln geleitet“, enthusiasmierte mal sich ein sonst meist grantelnder Stimmenfachmann. Bei der Met-Traviata lässt sich dieses Urteil nachvollziehen. Die Violetta ist übrigens Rosa Ponselles einzige vollständig erhaltene Opernpartie neben der Carmen (!), von der sogar zwei Mittschnitte aus dem Jahre 1936 vorliegen (New York, Boston). Man kann darüber spekulieren, ob der Wechsel zu dieser Mezzo-Partie das Eingeständnis eines vokalen Kräfteschwunds bedeutet oder primär dem Reiz nachgibt, diese besondere Partie zu gestalten. Freilich: ein Jahr später gab die Künstlerin mit nur vierzig Jahren ihre Karriere auf.

Von dem nicht eben populären Simon Boccanegra gibt es erstaunlich viele Mitschnitte aus der Met, drei datieren gar aus der Zeit vor der der ersten Platten-Gesamteinspielung (RAI Rom, 1951). An der Met verkörperte seit der amerikanischen Erstaufführung (1932) stets Lawrence Tibbett den Titelhelden. 1939 gab der junge Leonard Warren noch den intriganten Albiani, 1950 rückte er unter dem energischen Dirigat von Fritz Stiedry zum Boccanegra auf. Festgehalten wurde die Aufführung vom 28. Januar, deren Mitschnitt klangtechnisch nicht ganz dem Radiostandart jener Zeit entspricht. Warren mit seiner dunklen, trauerumflorten Stimme ist eine ideale Besetzung, Mihály Székely ein zwar autoritativer, aber nicht sonderlich individuell timbrierter Fiesco. Richard Tucker, einer der führenden Met-Tenöre, sang den Gariele Adorno auch noch 20 Jahre später. In der „Nachrück“-Partie des Albiani profiliert sich Giuseppe Valdengo, welcher noch im gleichen Jahr Toscaninis Platten-Falstaff sein sollte. Mit der Amelia bekam Astrid Varnay die Chance, sich an ihrem Debüt-Haus nach vielen Wagner-Rollen auch einmal im italienischen Fach zu präsentieren. Bereits der jungen Sängerin eignete eine leicht heroinenhafte Stimmfarbe, die man aber als sehr apart empfinden kann.

Auch das Aufnahmedatum 14.12.1940 bei Un Ballo in Maschera (Ein Maskenball) bedeutet zwangsläufig eine relativ bescheidene Klangqualität, doch hier handelt es sich um die Zeit der Kriegsjahre. Die besonders trockene Akustik könnte man bei Ettore Panizza übrigens auch positiv auslegen, denn so erinnert sein ohnehin kraftvolles Dirigat an die etwas harsche Plattenaufnahme Arturo Toscaninis. Der wunderbar blühende, ausdrucksvolle Spinto-Sopran der Jugoslawin Zinka Milanov (Amelia) ist eine Verdi-Stimme, wie sie einem nicht häufig begegnet. Den Riccardo gestaltet Jussi Björling mit seinem erzenen Tenor ebenso attraktiv wie die nie so ganz bekannt gewordene Stella Andreva den Pagen Oscar. Von Björling gibt es eine Fülle von Einspielungen, von der Sopranistin hingegen nur ganz wenige. Der Ballo-Mitschnitt füllt bei dieser sehr einnehmenden Künstlerin also eine echte Lücke. Mit dem Renato debütierte der Ungar Alexander Sved an der Met. Der Beifall nach „Eri tu“ darf als eine Art Ritterschlag durch das Publikum verstanden werden.

Von La Forza del destino (Macht des Schicksals) sind insgesamt vier Met-Aufführungen dokumentiert, wobei die erste von 1943 wegen des Dirigenten Bruno Walter vielleicht die erste Wahl bei der vorliegenden Kassette hätte sein sollen (von Walter gibt es auch einen Ballo). Die Aufführung am 29. November 1952 leitete Fritz Stiedry. Wie viele jüdische Künstler kam auch er aus Europa in die USA, wo er von 1946 bis zu seinem Tode 1958 besonders für Wagner und Verdi zuständig war. Seine Forza besitzt dramatische Eloquenz. Ebenfalls Jude war Gerhard Pechner, der nach seiner Emigration sehr bald an die Met gelangte, wo er vorzugsweise in kleinen Rollen eingesetzt wurde. Eigentlich zu Unrecht, wie sein vollsaftiger Frau Melitone beweist. Ansonsten freuten sich die nationalstolzen Amerikaner vermutlich sehr, dass mit der temperamentvollen Mildred Miller (Preziosilla), dem tenoral leuchtenden Richard Tucker (Alvaro), dem belcantesk glühenden Leonard Warren (Don Carlo) und dem bassmächtigen Jerome Hines (Padre Guardian) besonders viele „native singers“ aufgeboten waren. Hinzu kam Zinka Milanov, die mit ihrer vokalen Passion und ihren unnachahmlichen Pianissimi auch bei der Leonora glänzt. Die Mischfassung der damaligen Neuinszenierung eliminiert das Gasthaus-Bild (und damit die „Studenten-Ballade“). Der Forza-Mitschnitt zeigt ansonsten besonders deutlich, wie eilfertig und mitunter regelrecht brutal das Met-Publikum in die Musik hineinklatschen konnte, etwa beim seraphischen Schluss.

Die Titelpartie in Aida haben sich an der Met viele Königinnen des Gesangs geteilt, doch mit kaum einer anderen Künstlerin wurde die Figur so sehr identifiziert wie mit Leontyne Price. Sie verkörperte die äthiopische Sklavin bereits kurz nach ihrem Hausdebüt 1961 und ein letztes Mal 1985 an gleicher Stelle bei ihrem Bühnenabschied (Youtube bietet nota bene Ausschnitte dieser Aufführung). Das leicht rauchige Organ der farbigen Sängerin, welches in der Höhe eine ungewöhnliche Leuchtkraft entwickelt, ist ein schier erotisches Erlebnis. Kultur des Singens und leidenschaftlicher Ausdruck ergänzen einander. Bei der Nil-Arie scheint am 25.2.1967 die Sonne aufzugehen, obwohl die Szene zur Nachtzeit spielt. Neben der Price agiert als Amneris Grace Bumbry, sechs Jahre zuvor „schwarze Venus“ in Bayreuth. Ihr fulminanter Mezzo besaß eine sichere Höhe, so dass sie zeitweilig auch Sopran-Partien verkörperte, darunter die Aida. Carlo Bergonzi (Radames) gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den besten, kulturvollsten Vertretern der Tenor-Zunft; mit ihm sang Leontyne Price Aida unter Georg Solti 1961 auch auf Platte. Robert Merrills Amonasro besticht nicht zuletzt durch eine außerordentlich plastische Diktion. Voluminös der Ramphis von Jerome Hines, hinreißend die von Thomas Schippers am Dirigentenpult ausgesendeten dramatischen Impulse.

Bei Otello, am 24.2.1940 im Radio übertragen, muss zuerst Ettore Panizza genannt werden. Der hinreißende Eindruck von Traviata und Ballo wird bestätigt und legt nahe, den argentinischen Dirigenten in einem Atemzug mit Arturo Toscanini zu nennen. Die heikle Chorintroduktion gelingt selbst live messerscharf und elektrisierend. Dass von Panizza vier Otello-Aufführungen aus der Met überliefert sind, ist aber wohl eher eine Sache des Zufalls. Die Partien des vor Eifersucht rasenden Otello und des kaltschnäuzig nihilistischen Jago sind gleich hoch besetzt. Für Giovanni Martinelli und Lawrence Tibbett findet Jürgen Kesting in seinem berühmt-berüchtigten Buch „Die großen Sänger“ hymnische Worte, gleichfalls für die Desdemona von Elisabeth Rethberg. Während seinem Frauenlob einschränkungslos zuzustimmen ist, mag man bei den Männern leichte Defizite empfinden. Martinellis Intonation ist teilweise labil, Spitzentöne werden ohne belebendes Vibrato hinausgeschleudert; bei Tibbett macht die stimmphysische Kondition nicht mehr überall mit. Aber beide Künstler sind Sängerakteure par excellence. Interessant verlief die Karriere von Alessio de Paolis, der sich in seinem 40. Lebensjahr von lyrischen Partien verabschiedete und Comprimario-Rollen (vor allem mit buffonesken Einschlag) bevorzugte. Der Cassio (sehr gut gesungen) war 1938 sein Debüt an der Met.

Falstaff, das burleskes Finale von Verdis Opernschaffen, lebt natürlich in Sonderheit vom Vertreter der Titelpartie. Wenn man sich die anderen Partien Leonard Warrens in dieser Kassette nochmals vergegenwärtigt, ist seine Verkörperung des trinkfesten, lebens- und liebeslustigen Ritters nachgerade eine Sensation. Die eigentlich so nachtdunkle Stimme lässt jetzt alles Vergrübelte hinter sich, verwandelt sich höchst vital in Shakespeares sanguinischen Schürzenjäger. Es ist kaum zu glauben, dass Warren kein genuiner Bühnendarsteller gewesen sein soll. In der Aufführung vom 26.2.1949 jedenfalls muss er ungemein brillant und komödiantisch agiert haben (viel Heiterkeit im Publikum), kaum nur Zufall im Rahmen eines inspirierten Abends. Warrens Partner ist einmal mehr Giuseppe Valdengo, selber ein Jahr später Falstaff bei Toscanini, wie bereits erwähnt. Bei den Männern wäre noch der junge Giuseppe di Stefano zu erwähnen, mit einer in schönster Blüte stehenden Stimme, die viel jungmännliche Erotik ausstrahlt. Seine Partnerin Licia Albanese wirkt als Nanetta etwas neutral, auch bei der Alice, der damals noch im Sopranfach tätigen Regina Resnik, bleiben einige Wünsche offen. Dass Cloe Elmo als Mrs. Quickly ihrer Fachkollegin Martha Lipton (Meg Page) ein wenig die Show stiehlt, hat mit dem bühnendarstellerisch äußerst dankbaren Charakter dieser Partie zu tun. Den präzisionsfanatischen Fritz Reiner erlebt man als Operndirigenten, bekannt wurde der kompromisslose Musiker aber vor allem im Konzertbereich. Seine kompletten Aufnahmen mit dem Chicago Symphony Orchestra hat Sony zeitgleich mit ihrer Met-Kassette herausgebracht, ein faszinierendes Kompendium.