Operette und Verwandtes

Mit einer Gesamteinspielung aus dem Jahre 1907 wurde der Johann-Strauß-Operette Die Fledermaus ihre Popularität auf ehrenvolle Weise bestätigt. Mit Blick auf die sehr begrenzte Spieldauer einer Schellackplatten-Seite hatte die Aufnahme- und Presstechnik damals schon einige Hürden zu nehmen. Bis heute wirkt der singuläre Rang des Werkes, wofür auch die Tatsache spricht, dass es gegenwärtig zwei neue Veröffentlichungen der Operette gibt.

Das Label Documents erinnert an eine Decca-Produktion von 1960, bei welcher Herbert von Karajan die Wiener Philharmoniker musikalisch gänzlich idiomatisch leitet. Fünf Jahre zuvor hatte der Dirigent das Werk mit dem in London beheimateten Philharmonia Orchestra eingespielt, noch in Mono. Die zweikanalige Aufnahmetechnik führte danach allenthalben zu Remakes oder Neueinspielungen, wobei frühere Besetzungen durchaus nicht immer übertroffen wurden. Was die Fledermaus betrifft, wechselten manche Sänger innerhalb des Werkes auch die Partien, keineswegs nur aus Altersgründen. Bei Karajan etwa ist der wunderbare Tenor Waldemar Kmentt gänzlich rollendeckend als Eisenstein zu erleben, 1972 unter Karl Böhm übernahm er mit dem Alfred die eigentlich lyrischere Partie in dem Werk. Eberhard Wächters Gefängnisdirektor Frank (1960) könnte man als eine Art Sprungbrett für die später immer wieder gesungene Partie des Eisenstein sehen, dem er mit seinem hoch gelagerten Bariton vokal nie etwas schuldig blieb und wo er auch sein genuines Spieltemperamt ausleben konnte. Erich Kunz ist sich, noch in besten Sängerjahren, nicht zu schade, bei Karajan die Sprechrolle des Froschs zu übernehmen. Aber er war halt ein Theaterblut von erster Güte und darf ja auch eine Art „Einlage“ singen. Die charmante Hilde Güden gab schon unter Clemens Krauss (1950) eine fesche Rosalinde ab. Erika Köth ist 1960 eine wirklich turbulente Adele, ihre etwas puppenhafte Stimme ist aber selbst bei dieser Soubretten-Partie eine Sache des Geschmacks. Die etwas exotische Diktion Regina Resniks passt gut für den dekadent-sentimentalen Orlofsky. Giuseppe Zampieris Alfred ist leider eine Fehlbesetzung; seltsam, dass Karajan sie durchgehen ließ. Eine Besonderheit dieser Einspielung sind die „Star“-Auftritte im Festakt u.a. mit Renata Tebaldi, Joan Sutherland, Jussi Björling, Leontyne Price und Ljuba Welitsch. Ein Promi-Gag. Für die Einspielung hätten im Grunde zwei CDs ausgereicht, aber die korrekte Akt-Aufteilung sowie eine Fülle historischer Strauß-Fill-Ups unter Karajan rechtfertigen die Ausdehnung. Und Documents ist ja stets ein äußerst preiswertes Label.

Die vom Westdeutschen Rundfunk produzierte Fledermaus kann schon deswegen nicht als Konkurrenz gesehen werden, weil sie sämtliche Dialoge auslässt. Das wirkt umso grotesker, als beispielsweise das Melodram des Gefängnisdirektors Frank mit allen humoristischen Extras berücksichtigt wird. Warum nicht gleich lieber ein „ehrlicher“ großer Querschnitt? Aber gut: Friedrich Haider legt mit dem WDR Rundfunkorchester Ehre ein, und über die Sänger kann man sich weitgehend freuen. Die Polin Aga Mikolaj überzeugt mit einer wirklich kessen Rosalinde; ihr ebenfalls beim WDR entstandenes Richard-Strauss-Recital geriet lange nicht so überzeugend. „Gut“-Prädikate sind an Chen Reiss (Adele), Paul Armin Edelmann (Eisenstein), Sebastian Holecek (Frank) und Miljenko Turk (Falke) zu vergeben; auch der rustikale Orlofsky von Natascha Petrinsky besitzt Kontur. Der Beste im Ensemble freilich ist Rainer Trost, ein Alfred mit tenoralem Schmelz und gestalterischem Charme. Wenn diese Produktion auch nicht allererste Sahne ist, freut man sich, dass der Kölner Sender alte Operettentraditionen weiter führt, die in den fünfziger und sechziger Jahren unter Franz Marszalek einen freilich noch besseren Nährboden hatten. Doch in jüngerer Zeit sind Gesamtaufnahmen immerhin von Paul Abrahams Blume von Hawaii (2009, unter Rainer Ross), Eduard Künnekes Glückliche Reise (2012, unter Anthony Hermus) und Emmerich Kálmàns Die Bajadere (2014, unter Richard Bonynge) entstanden, die vielleicht irgendwann einmal zur CD-Veröffentlichung kommen.

 

Eine Kollektion von Warner (ehemals EMI) bietet nun wirklich eindeutige Operetten-Querschnitte an, und zwar aus den 50er und 60er Jahren. Der Titel Johann Strauß II ist freilich nicht korrekt, denn es werden auch Carl Zeller, Franz von Suppé, Carl Millöcker, Leon Jessel und Eduard Künneke berücksichtigt. Warum Zellers Vogelhändler mit gleich zwei Potpourris zu Ehren kommt, während anderes aus dem einstigen EMI-Katalog fehlt (so die Komponisten Franz Lehár und Èmmerich Kálmán), leuchtet nicht ein. Aber es freut, dass einige Potpourri-Oldies wieder in Umlauf kommen. Das gilt, trotz erheblicher Einschränkung bezüglich dramaturgischer Anordnung der Musiktitel, speziell für die von Wilhelm Schüchter dirigierte Fledermaus. Schüchter war ein vielseitiger, verlässlicher EMI-Kapellmeister, man registriert es mit hohem Respekt. Die Wahl der Nordwestdeutsche Philharmonie und des Chores des Landestheaters Hannover war der damaligen NRW-konzentrierten Arbeit des Dirigenten geschuldet, Sari Barabas (+ 2012 mit 94 Jahren) war neben Martha Eggerth (+ 2013 mit 101 Jahren) die wohl dienstälteste Operetten-Diva der Gegenwart. Was stirbt mit diesen beiden Primadonnen, ist nicht ganz ohne Beklommenheit zu fragen?

Bei Erika Köth sind auch hinsichtlich der Saffi (Zigeunerbaron) Einschränkungen zu machen, während ihre Laura im Bettelstudent voll überzeugt. In sehr viel mehr Rollen ist Anneliese Rothenberger zu hören, eine vorzügliche Sängerin, ungeachtet Jürgen Kestings abfälliger Äußerungen in seinem Sängerlexikon. Bei Fledermau“ noch Soubrette, wird sie später zur lyrischen Primadonna. Mehrfach an ihrer Seite: Rudolf Schock, zu seiner Zeit einer der beliebtesten Tenöre, wobei diese Vokabel allerdings etwas Zweischneidiges hat. Dass die Popularität dieses prinzipiell erstklassigen Sängers im Laufe der Zeit etwas trübe wurde, lag nicht nur an vokalen Verschleißerscheinungen (teilweise bemerkbar an seinen späteren Operettenaufnahmen mit Margit Schramm), sondern auch daran, dass mit Fritz Wunderlich ein jüngerer Sänger von singulärer Qualität heranwuchs. 1960 machten beide noch gemeinsame Aufnahmen: Nacht in Venedig, Vogelhändler (und auch Wagners Fliegender Holländer).

Heinz Hoppe, eigentlich ein Fachkollege von beiden, wird in der vorliegende Anthologie vorzugsweise als Buffo präsentiert. In diesem Bereich begegnet man weiterhin Karl-Ernst Mercker, Manfred Schmidt, Erich Kuchar, Ferry Gruber und Harry Friedauer. Leider fehlt Willi Brokmeier. Sehr positive Eindrücke kommen weiterhin von Sieglinde Wagner, Marcel Cordes, Benno Kusche (Zigeunerbaron), Lisa Otto (Nacht in Venedig, Vogelhändler ) und Josef Traxel (Vogelhändler ). Die Karrieren von Nicolai Gedda und Hermann Prey begannen sich damals mächtig auszuweiten. Bei den Dirigenten gibt es ebenfalls klangvolle Namen die Fülle. Zu den beiden Fill-Up-Sektionen der Kassette gehören seltene Johann-Strauß-Titel mit Anneliese Rothenberger und dem niederländischen Bariton Marco Bakker.

 

Im Folgenden kommt die Operette nur noch mit instrumentalen Piècen zu Ehren. Das Label Documents bietet ein mit Wiener leichte Klassik übertiteltes Programm. Hier handelt es sich um einen leichten Etikettenschwindel, denn es gibt keineswegs nur „Wien, Wien, nur du allein“, sondern auch viel Französisches. Das reicht sogar bis Maurice Ravels „Bolero“, der stilistisch nun wirklich als Fremdkörper wirkt. Man wird dies kaum damit begründen wollen, dass die Kollektion auch Titel von Emil (bzw. Emile) Waldteufel enthält, Franzose von Geburt, aber kompositorisch dem Wiener Stil zugeordnet. Aber man kann über die Programm-Großzügigkeit natürlich auch großzügig hinweg gehen, zumal eine Spezialität von Documents die Wiederverwertung älterer Plattenaufnahmen ist, was das Sammler-Herz erfreut. Im vorliegenden Falle gilt dies u.a. für Franz von Suppés Ouvertüre „Flotte Bursche“ mit dem Orchester der Städtischen Oper unter Hansgeorg Otto. Die Aufnahme stammt vermutlich von Telefunken Anfang der Fünfziger. Vermutlich, denn in dieser Kassette fehlen Aufnahmedaten gänzlich.

Wie Suppé wirklich „flott“ klingen kann, beweisen Einspielungen mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti, der mit dem Covent-Garden-Orchester auch eine in ihrer Spritzigkeit bis heute nicht übertroffene Aufnahme von „Gaité Parisienne“ (Manuel Rosenthals Arrangement von Offenbach-Melodien) realisierte. Sehr nahe kommt ihm Altmeister Robert Stolz, auch wenn bei ihm fast alles etwas zu stereo-hallig klingt. Ansonsten ist an Dirigenten fast alles vertreten, was Rang und Namen hat: Herbert von Karajan, Clemens Krauss, Willy Boskovsky, Ernest Ansermet und andere. Sie Aufnahmen von Franck Pourcel sind Beispiele für die Problematik von Bearbeitungen.

 

Ebenfalls nicht mehr ausschließlich auf Strauß zugeschnitten sind die weltweit beliebten Wiener Neujahrskonzerte, auch nicht das aktuelle mit den Wiener Philharmonikern unter Daniel Barenboim. Die lyrisch-elegische Mondscheinmusik (Capriccio) vom Jubilar des Jahres 2014, Richard Strauss, fügt sich in das Programm nicht wirklich organisch ein. Mit Joseph Hellmesberger und Joseph Lanner schweift man entschieden stimmiger ab. Und wie schon mehrfach erlebt, ist Josef Strauß seinen eigentlich sehr viel berühmten Bruder Johann an kompositorischer Finesse nicht selten überlegen, etwa mit der Bouquet- und Schabernack-Polka. Schabernack gehört zu den Neujahrskonzerten ohnehin, für diesmal nachgewiesen an den Gesangseinlagen der Orchestermitglieder beim Ägyptischen Marsch

 

England hatte übrigens seinen Jacques Offenbach: Arthur Sullivan. Dessen Bühnenwerke (Libretti in der Regel von William Schwenck Gilbert) besitzen allerdings eine spezifische britische Note, die in Deutschland nicht leicht mit angemessener Leichtigkeit zu realisieren ist. Immerhin: in Dortmund gelang das vor Jahren mit den Pirates of Penzance einmal geradezu exemplarisch, so dass Glaube, Liebe und Hoffnung in Sachen Sullivan bestehen bleibt. Sullivan war übrigens wie Offenbach auch auf dem Gebiet der „ernsten“ Musik tätig, aber die Operette blieb sein hauptsächliches Metier. Vier Ouvertüren sind natürlich ein recht bescheidener Nachweis für kompositorische Qualität. Sind es überhaupt alle, die Charles Mackerras (im Aufnahmejahr 1957 gerade mal 32 Jahre alt) mit dem Philharmonia Orchestra einspielte? Sie reichen freilich aus, um sich den Reichtum von Sullivans Musik vor Ohren zu führen und die Vitalität des australischen Dirigenten, der im Alter u.a. ein Janacek-Interpret erster Güte wurde, nachzuweisen. Als quasi naturalisierter Engländer setzte er sich seinerzeit auch (jetzt mit dem London Symphony Orchestra) für Eric Coates ein. Der schrieb zwar keine Operetten, aber erstklassige Unterhaltungsmusik. Sein größter Hit wurde der „Knightsbridge March“ aus der „London Suite“ (1933) und avancierte (neben weiteren Coates-Stücken) zur Erkennungsmelodie britischer Radiosendungen. Die von Vocalion wiederveröffentlichten Einspielungen sind so richtig zum Abheben.