Der junge Wagner und sein Umfeld
Das Werk Richard Wagners beginnt für viele erst mit dem Fliegenden Holländer. Auch die Bayreuther Festspiele handhaben ihren Spielplan gemäß dieser Auffassung, Das ist freilich verständlich, denn sowohl Die Feen, als auch Das Liebesverbot und Rienzi sind lediglich unterschiedlich glückliche Etappen auf dem Weg zu einem Musikdrama, wie es sich der durchaus selbstkritische Komponist zum Ziel gesetzt hatte. Entsprechend rar sind heutzutage Bühnenaufführungen dieser Werke und konzentrierten sich fast immer auf Gedenkjahre (1983, 2013). Die Feen-Produktion beim Bayreuther Jugendfestspieltreffen 1967, die es früher mal als Querschnitt-Platte gab, war eine verdienstvolle Ausnahme. Sie wich szenisch zudem von historischen Inszenierungsmustern ab. Was Aufnahmen der Frühwerke betrifft, so bemühte sich vor allem Wolfgang Sawallisch 1983 in München um sie. Diese Mitschnitte sind bis heute im Phonoangebot verblieben. In den vergangenen Jahren engagierte sich in Frankfurt Sebastian Weigle für sie, und das Label Oehms, der Oper Frankfurt ohnehin zugetan, hat die Konzertaufführungen auf CD herausgebracht. Auch der komplette Frankfurter Ring ist verfügbar; er beruht auf Bühnenaufführungen.
Die Feen
Die Handlung der Feen (das von Wagner wie immer selbstverfasste Libretto stützt sich auf zwei Bühnenstücke Carlo Gozzis) ist ein ziemliches Verwirrspiel um die Liebe eines irdischen Helden (Arindal) und einer Fee (Ada). Wer sich bei Frau ohne Schatten von Richard Strauss auskennt, wird mit der Stofffülle möglicherweise etwas leichter zurechtkommen. Es gibt ein „hohes“ Paar (die Namen Ada und Arindal hat Wagner seinem Drama Die Hochzeit entlehnt, welches er vernichtete), allerlei ritterliches Personarium, aber auch ein veritables Buffopaar, für welches der Komponist im zweiten Akt übrigens ein wirklich entzückendes, harmonisch reiches Duett schrieb. Überhaupt enthält die Partitur viel Wertvolles (das E-Dur-Hauptmotiv weist überdies auf einige fast notengetreue Passagen im Holländer voraus).Einige konventionell-banale Durststrecken (vor allem bei den Rezitativen) gilt es freilich durchzustehen.
Dem die Aufführung mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester klangüppig steuernden Sebastian Weigle steht ein exzellentes Ensemble zur Verfügung, welches sich vor allem aus dem Frankfurter Ensemble speist. So hübsch sich Christiane Karg als Drolla in dem erwähnten Duett auch macht, ihre heutigen Qualitäten als eine der besten Liedsängerinnen der jüngeren Generation gehen daraus noch nicht ganz hervor. Einen sehr sympathischen, frischen Tenor führt Simon Bode (Gunther) ins Treffen. Ansonsten wären vor allem Thorsten Grümbel (Gernot) sowie der bayreuth-erfahrene Michael Nagy (Morald) zu erwähnen. Bayreuth-Segnungen kann auch Burkhard Fritz vorweisen, als Arindal ein nimmermüder und auch elegant artikulierender Heldentenor. Seine Partnerin ist die Amerikanerin Tamara Wilson, welche mit der sopranleuchtend gestalteten Ada ihr deutsches Repertoire erweitert, während sie bislang vor allem im italienischen Fach zu Hause war. Der Beifall bei diesem Feen-Mitschnitt beschränkt sich erfreulicherweise auf die Aktenden.
Das Liebesverbot
Während die mit Symbolen überfrachteten Feen einer Inszenierung besonders schwierige Aufgaben bereiten, ist Das Liebesverbot auf der Bühne eigentlich relativ gut vorstellbar. Die Macht des Eros, welche sich über alle moralischen Verkrampfungen erhebt, verdichtet sich in einem turbulenten Geschehen, welches ein wenig an Benvenuto Cellini von Hector Berlioz erinnert und sogar - sakrilegisch formuliert - fast die Operetten Eine Nacht in Venedig und Karneval in Rom von Johann Strauß vorausahnen lässt. Wagners Musik lässt es nämlich an Witz und heit’rer Laune wahrlich nicht fehlen, ohne deswegen Momente tragischer Reflexion zu vernachlässigen. Immerhin geht es um die Ahndung von Lebenslust durch Todesstrafe. Gleichzeitig steckt in Friedrich, dem verklemmten Statthalter von Palermo, unterdrückte Begehrlichkeit ebenso wie in Isabella, die im Leben als Nonne ihre Berufung gefunden zu haben glaubt. Wagner ist bei dieser „großen komischen“ Oper von 1836 (die späteren Meistersinger sind eine solche nur sehr bedingt) noch weniger als Musikdramatiker zu erkennen als bei den Feen, aber er füllt das ihm eher fremde Genre mit einer über weite Strecken inspirierten Musik aus, welche auch beim reinen Hören Laune macht. Bei den beiden Frankfurter Aufführungen von 2012, welche der CD-Veröffentlichung zugrunde liegen, nimmt der Dirigent Sebastian Weigle sozusagen kein Blatt vor den Mund, lässt die spritzige Musik aufschäumen, die Kastagnetten munter klappern, gibt aber auch dem schon sehr Wagner-typischen Melos angemessenen Raum. Bei den Sängern geht Christiane Libor (Isabella) mit ihrem kraftvollen, jugendfrischen Sopran (dem hohe C’s keine Mühe bereiten) eindeutig in Führung. Charles Reids tenoraler Schmelz gibt dem erotischen Hasardeur Claudio, Bruder von Isabella, schneidige Kontur. Sein Fachkollege Peter Bronder hat als Luzio, der Isabellas Gefühle aufzubrechen versteht, gibt mit seiner kehligen Stimme allerdings kaum einen überzeugenden Liebhaber ab. Michael Nagy zeichnet mit seinem festen, leicht verdüstert wirkenden Bariton ein treffendes Porträt des emotional zerrissenen Friedrich. Dezidiert buffoneske Akzente kommen von Anna Ryberg (Dorella) und Thorsten Grümbel (Brighella).
Rienzi
Auch Rienzi hat in Bayreuth kein Zuhause, aber er wird immerhin gelegentlich gespielt, im Wagner-Jahr 2013 allerdings nur vereinzelt. Eine Produktion in Krefeld/Mönchengladbach war somit nicht nur aus statistischen Gründen von Bedeutung, sondern erstaunlicherweise auch wegen der Inszenierung Matthias Oldags. Die Aufführung zeigte, dass „Meyerbeers beste Oper“ auch szenisch durchaus in den Griff zu bekommen und als politische Parabel spannend zu vermitteln ist. Die Frankfurter Oper beschränkte sich auf zwei konzertante Aufführungen aus dem Vorjahr, deren Zusammenschnitt den hessischen Wagner-Zyklus (Ring, Feen, Liebesverbot) abschließt. In diesem Zusammenhang wäre auch an die von Winfried Zillig geleitete Rienzi-Produktion des Hessischen Rundfunks von 1950 zu erinnern, mit Günther Treptow, Trude Eipperle und Erna Schlüter als Protagonisten. Diese Aufnahme ist nahezu vollständig (wie 1976 auch ein BBC-Mitschnitt unter Edward Downes), während sich Sebastian Weigle in Frankfurt für eine Strichfassung entschied. Als unbelasteter Hörer empfindet man Verluste nur bedingt, Wagners erregte musikalische Deklamation, die irgendwann sogar regelrecht zu schwitzen beginnt, bedeutet ja mitunter durchaus Ballast. An theatralischen Effekten mangelt es dem Werk andererseits nicht, und der Stoff ist stark. Also: ruhig öfter den Rienzi spielen. Dann sollte freilich ein anderer Titelrollensänger zur Verfügung stehen als Peter Bronder, der als Rienzi zwar mehr überzeugt als Luzio (Liebesverbot), aber vokal keine wirkliche Persönlichkeit abgibt. Dafür überzeugt der vokale Impetus von Christiane Libor (Irene) neuerlich, auch der von Claudia Mahnke (Adriano). Falk Struckmann (Colonna) sei stellvertretend für das überzeugende Restensemble genannt. Der Frankfurter Opernchor hat markante Auftritte, und Weigle bestätigt seine Wagner-Affinität.
Der fliegende Holländer
Mit dem Holländer gedachte sich Wagner in Paris einzuführen, doch bei den Verhandlungen mit der Großen Oper kam es nur zu einem Verkauf seines Prosatextes, der dann - umgearbeitet - an den Chordirektor Pierre-Louis Dietsch zur Vertonung weitergereicht wurde. Die Geschichte hat dann gerecht entschieden. Die Oper von Dietsch (seine einzige) verschwand nach elf Aufführungen in der Schublade, Wagner hingegen setzte sich mit Holländer als Musikdramatiker endgültig durch. Dabei hätte es bleiben können, aber da gibt es halt die Gehirne von Dramaturgen. Eines gehört offenkundig dem Dirigenten Marc Minkowski, der sich zunächst im Bereich der Alten Musik tummelte, inzwischen aber ein weitläufiges Repertoire beherrscht. Nun verbiss sich in die Idee, beide Werke miteinander zu konfrontieren und bei dieser Gelegenheit die Oper von Dietsch nach 170 Jahren wieder zum Leben zu erwecken. Der umfangreichern Tournee mit seinen Musiciens du Louvre Grenoble folgte eine Studioaufnahme beider Werke.
Bei Wagner greift Minkowski auf die Urfassung zurück: drei durchlaufende Akte, kein harfenumspieltes Erlösungsmotiv im Finale (welches vom Komponisten auch in die Ouvertüre interpoliert wurde). Von minderem Belang ist der Rückgriff auf einige später geänderte Rollennamen, welche der Verlegung der Handlung von Schottland (ursprünglich) nach Norwegen Rechnung tragen. Aus Donald wurde bei dieser Gelegenheit Daland, aus Georg Erik; Mary mutierte von Donalds Haushälterin zur Amme Sentas.
Bis auf enorm breite Tempi im ersten Teil des Duetts Senta/Holländer liefert Minkowski eine schwungvolle, dramatisch spannungsvolle Interpretation der Oper, an welcher der Eesti Filharnoonia Kammerkoor keinen geringen Anteil hat, vor allem in der Geisterszene des dritten Aktes. Die meisten Sängernamen dürften hierzulande unbekannt sein. Die Schwedin Ingela Brimberg verkörpert mit leuchtkräftigem Sopran die Senta; einige Schärfen kann man der Psychologie des leicht hysterischen Mädchens ohne weiteres gutschreiben. Der Amerikaner Eric Cutler verfügt als Erik über angemessenen Belcanto-Schmelz, sein Tenor-Kollege Bernard Richter ist mit leichter, aber fester Stimme ein sehr, sehr guter Steuermann, Helene Schneiderman füllt die Partie der Mary angemessen aus. Besonders prägt sich der noble Bass von Mika Kares ein, welcher dem Daland eine fast intellektuelle Note verleiht. Und schließlich Evgeny Nikitin als Holländer, eine Partie, die ihm 2012 in Bayreuth wieder entzogen wurde, nachdem ruchbar wurde, dass ein Tatoo möglicherweise nazistische Sympathien des Sängers dokumentiert. Dank Minkowski weiß man jetzt, welch interessanten Rollenvertreter man sich auf dem Grünen Hügel hat entgehen lassen.
Le vaisseau fantôme
Bei der Holländer-Version von Dietsch tragen die Protagonisten andere Namen als bei Wagner (bis auf Eric, der aber nicht viel zu singen hat). Noch wichtiger: die Musik besitzt einen völlig anderen Charakter, der zwischen italienischem Belcanto (dem Wagner freilich auch ein wenig frönte) und Grand opéra angesiedelt ist. Insgesamt fehlt der Musik die Imaginationskraft Wagners, sie tändelt ohne dämonische Abgründe an Situationen und Charakteren vorbei. Den Holländer (Troil) geht Leidenscharisma gänzlich ab, er wird lediglich mit luxuriösen Melodien porträtiert. Seine große Szene zu Beginn des 2, Aktes ist in dieser Hinsicht ausgesprochen attraktiv. Auch andere Nummern der Oper machen Wirkung und wären in einem neutralen Opernkonzert durchaus gut aufgehoben. Insofern ist Marc Minkowski für die Werkbegegnung zu danken und seine dramaturgischer Mut (Wagner kontra Dietsch) zu loben. Die imponierende vokale Leistung von Mika Kares wiederholt sich bei Schiften (Daland). Bernard Richter als Magnus - Jugendfreund Minnas (Sentas) und Gatte in spe - legt an schwärmerischer Lyrik jetzt noch um einige Grade zu. Sally Matthews und Russell Braun (Minna/Troil) lassen kaum Wünsche offen. Minkowski schürt mit Chor und Orchester dramatisches Feuer wo immer möglich
Umfeld
Dass der frühe, teilweise auch noch der späte Wagner dem Stil der Grand Opéra anhängt, wäre an einschlägigen Werken dieses Genres nachweisbar. Leider war eine einschlägige Neuerscheinung, Dimitri von Voctorin Joncières mit der Brussels Philharmonic unter Hervé Niquet, nicht beschaffbar, doch sei wenigstens die Ankündigung der Aufnahme zitiert: „1876 uraufgeführt, ist Dimitri das bedeutendste Bühnenwerk von Victorin Joncières (1839-1903). Es knüpft in seiner spektakulären Monumentalität und Dramaturgie an die Traditionen Giacomo Meyerbeers an, greift aber ebenso die Entwicklungen seit Gounod und Wagner auf.“ Zumindest von Meyerbeer kann man sich aktuell ein (begrenztes) Bild dank einer CD machen, welche Ballettmusiken seiner Opern zusammenfasst. Dieses Genre war für die Franzosen des 19. Jahrhunderts unabdingbar; auch Wagner hatte sich mit diesem eigentümlichen Geschmack herumzuschlagen (Tannhäuser). Er zog sich freilich souverän aus der Affäre wie übrigens auch Giuseppe Verdi in noch sehr viel häufigeren Fällen. Auf der Bühne haben diese Ballettnummern heute natürlich nichts mehr zu suchen. Bei Meyerbeer sind sie freilich stimmiger Bestandteil seiner Bühnenwerke, besonders in Robert le Diable (Ballet des Nonnes). Und dass er effektvolle Musik zu schreiben verstand, verrät fast jede dieser Kompositionen, von denen Les Patineurs (Die Schlittschuhläufer) aus Le Prophète wohl die bekannteste ist. Das Orquestra Sinfonica de Barcelona nimmt sich all dieser Werke unter Michal Nesterowicz mit Gusto und Klangfeuer an