Bei Verdis „Requiem“ vereint
Bei Verdis „Requiem“ vereint
CD-Porträts von Christa Ludwig, Leonie Rysanek und Cesare Siepi
Das Label „Documents“ (Vertrieb: Membran) ist - im U- wie auch im E-Bereich) - auf die Wiederveröffentlichung älterer Aufnahmen spezialisiert und bietet seine Kassetten zu äußerst günstigen Preisen an. Im Folgenden sei auf die drei jüngsten Sängerporträts aus dem Bereich Oper/Konzert eingegangen: Christa Ludwig, Leonie Rysanek und Cesare Siepi. Für die käuferfreundliche Preiskalkulation ist allerdings eine gewisse Bescheidenheit im äußeren Erscheinungsbild zu akzeptieren. Die CDs in den Klappkassetten stecken in einfachen Papphüllen, auf welchen die Titel und Aufnahmedaten verlässlich abgebildet sind. Booklets fehlen und somit auch Informationen zu den porträtierten Künstlerin. Von einer gewissen „Vorbildung“ bei der Käuferklientel wird also offenkundig ausgegangen, doch scheinen die Verkaufszahlen das Konzept zu bestätigen.
Christa Ludwig. Die ersten Aufnahmen
„Und ich wäre so gerne Primadonna gewesen“ lautet der Titel von Christa Ludwigs Autobiografie. Welche eine Zurückhaltung! Christa Ludwig (*1928) war eine Primadonna, wenn auch im Mezzofach, wo dem Genre-Verständnis nach eigentlich nur eine „seconda donna“ beheimatet ist. Mit Ludwig van Beethovens Leonore („Fidelio“) Giuseppe Verdis Lady Macbeth und der Färberin in „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss hat sich Christa Ludwig zeitweilig im Sopranbereich bewegt, aber von Brünnhilde, Isolde oder auch Elektra Abstand genommen, nur Ausschnitte im Konzert oder im Plattenstudio gesungen. Diese Zurückhaltung war klug. In der Kassette „Die ersten Aufnahmen“ findet sich von diesen Ausflügen nichts, so dass eine vertiefende Betrachtung an dieser Stelle entfallen muss. Allerdings ist die Ortrud (Wagners „Lohengrin“) zu nennen, die es als frühes Rollendokument in einer 1958 aufgenommenen Szene mit Elsa (Elisabeth Schwarzkopf) gibt, wo die hochgelagerten Ekstasen von „Entweihte Götter“ echten Nervenkitzel bereiten. Und in Adrianos Arie „Gerechter Gott“ aus „Rienzi“ (Wiener Konzertaufführung 1960 unter Josef Krips) steigert sich ihre Stimme in die Vulkanfeuer eines dramatischen Soprans hinein. Auch die Berthalda in Albert Lortzings „Undine“ liegt oberhalb des Mezzo-Bereichs. Die Übernahme dieser untypischen, aber souverän gemeisterten Partie verdankt sich der Tatsache, dass die Sängerin ihr erstes Engagement in Frankfurt hatte (1946-1952) und der dort angesiedelte, sehr opernengagierte Hessische Rundfunk gerne auf vielversprechende Künstler aus dem städtischen Opernhaus zurück griff. So erlebt man Christa Ludwig auch als alte Madelon in Umberto Giordanos „André Chénier“ (Dirigent: Winfried Zillig, 1950) oder als Dimitri in dessen „Fedora“ (Dirigent: Kurt Schröder, 1953). Auch der überhaupt erste Mikrophon-Test (Orlofsky 1950 - in dieser Partie hatte sie 1946 ihr Bühnendebüt gegeben) ist vorhanden, schon hier mit erotisch unterminierter Stimme, deren spezifisches Timbre in der Folge immer signifikanter wurde. Ein Rezensent des Karajan-„Rosenkavalier“ (London 1956 - hiervon eine ganze CD mit Ausschnitten) bezeichnete die Sängerin in diese Partie sogar als „Sexbombe“. Auf jeden Fall sang und gestaltete die Künstlerin stets mit vollem Körpereinsatz und intensiver Emotion. Dies auch bei Johann Sebastian Bach, was sie selber durchaus kritisch sah. Hört man jedoch die Arie „Erbarme dich“ aus der Matthäus-Passion (Dirigent: Otto Klemperer, 1960), möchte man sich aufs tiefste bewegt in das berühmte Mauseloch verkriechen. Beim Hören dieser 7 ½ Minuten fällt alles Irdische ab, da fühlt man sich dem Jenseits nahe.
Das elegisch gefärbte Timbre Christa Ludwigs findet besondere Wirkung in Momenten des gesteigerten Ausdrucks, etwa bei Franz Schuberts „Allmacht“, Robert Schumanns „Frauenliebe und -leben“ und Gustav Mahler (bei allen meist 1957 aufgenommenen Liedern begleitet Gerald Moore). Aber heiter konnte die Sängerin auch sein. Nach ihrer Old Lady in einer Londoner Aufführung von Leonard Bernsteins „Candide“ (80er Jahre) war der Komponist und Dirigent förmlich von den Socken. Die Documents-Anthologie deutet diese Qualitäten mit Wolfgang Amadeus Mozarts Dorabella („Cosi fan tutte“ unter Karl Böhm, Studio 1955, Salzburg live 1959) an, ebenso mit Gioacchino Rossinis Angelina („La Cenerentola“), die 1959 in Wien noch deutsch gesungen wurde (toller Partner übrigens: Waldemar Kmentt).
Durch einen krankheitsbedingten Besetzungsausfall wurde Christa Ludwig in Vincenzo Bellinis „Norma“ zur Adalgisa- Partnerin von Maria Callas, die 1960 unter Tullio Serafin schon nicht mehr „at her best“, aber immer noch eindrucksvoll ist. Weitere Opernpartien in der Kassette: 2. Dame in Mozarts „Zauberflöte“, Komponist in Straussens „Ariadne auf Naxos“ (jeweils unter Karl Böhm, Salzburg 1955) Georgette in Rolf Liebermanns „Schule der Frauen“ (wiederum Salzburg, 1957 jedoch unter George Szell), Clairon in der superben Londoner Wolfgang-Sawallisch-Einspielung von „Capriccio“ (London 1956). Ergänzungen aus dem Konzertbereich: Mozarts „Requiem“ (Dirigent: Otto Matzerath, HR 1952) und „Vesperae solennes de confessione“ (Dirigent: Joseph Keilberth, WDR 1956). „Missa solemnis“ von Beethoven (Studioaufnahme London) und Verdis „Requiem“ (Salzburg live), jeweils 1958 unter Karajan. Partner bei Verdi waren u.a.: Leonie Rysanek und Cesare Siepi, welche in den nächsten beiden Kapiteln dieses Beitrags gewürdigt werden.
Leonie Rysanek. The Soprano Queen
Die gebürtige Wienerin (1926-1998) war eine Künstlerin für den Konzertsaal nur bedingt. Wenn sie aber dort in Erscheinung trat, verwandelte sie das Podium in eine Bühne. Eine Singschauspielerin par excellence, deren ekstatische Verausgabung u.a. zu dem berühmt gewordenen Sieglinden-Schrei führte, in der Szene, wenn Siegmund in Richard Wagners „Walküre“ das Schwert aus der Esche zieht. Die Kassette mit Christa Ludwig enthält u.a. Ausschnitte aus einer Salzburger Aufführung von Giuseppe Verdis „Requiem“ unter Karajan (1958) mit Leonie Rysanek als Sopransolistin. Als Opernsängerin war sie im Verdi-Fach freilich mehr zu Hause und war dort mit allen Belcanto-Erfordernissen vertraut. Ihre Piano-Qualitäten beweist sie u.a. in der großen Szene der Desdemona im 4. „Otello“-Akt, sowohl im Rahmen eines von Arturo Basile in Turin geleiteten Recitals von 1958 wie auch in der 2 Jahre später entstandenen römischen Gesamtaufnahme des Werkes unter Tullio Serafin, an der Seite eines exzellenten Jon Vickers. Auch als Elisabetta in „Don Carlo“ (Met-Aufführung 1959 unter Fausto Cleva) besticht die Sängerin mit fein gesponnenen Kantilenen. Die „passive Süße“ einer Mirella Freni war Leonie Rysanek sicher nicht eigen, in ihr vibrierten stets die Emotionen einer genuinen Bühnendarstellerin. Sie lebte in ihren Partien wie kaum eine andere Sängerin. Dass ihr unter diesen Umständen explosive Charaktere wie Abigaille („Nabucco“) oder Lady Macbeth besonders lagen, versteht sich. Mit der Lady gab Leonie Rysanek 1959 ihr Debüt an der Metropolitan Opera (als Einspringerin für Maria Callas) und verabschiedete sich von diesem Haus erst 1996 in ihrem erst kurz zuvor eroberten Charakter/Mezzo-Fach als Gräfin in Peter Tschaikowskys „Pique Dame“. Der Jubel des Publikums (auf Youtube nacherlebbar) kam einer Hysterie gleich, die Sängerin schwamm in Tränen.
Verdi, Wagner und Richard Strauss bildeten die Repertoire-Schwerpunkte in Leonie Rysaneks Repertoire. Ihr zweiter Ehemann, Ernst Ludwig Gausmann, riet ihr aber, sich kontinuierlich auch neue Rollen zu erobern. So kam es zur Titelpartie in Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“ oder zur Milada in Bedrich Smetanas „Dalibor“. Die CD-Kassette macht mit der Tatjana aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“ bekannt (Wiener Staatsoper 1955), eine Figur, für welche Leonie Rysaneks Stimme freilich bereits in ihren jungen Jahren etwas zu ausladend war (Brief-Szene). Auch Wolfgang Amadeus Mozarts Donna Elvira („Giovanni“ unter Hans Rosbaud in Aix, 1952) wirkt eher interessant als stimmig, ebenso die Arabella von Strauss, während das Recital 1952 unter Wilhelm Schüchter mit der Marta aus Eugen d’Alberts „Tiefland“ eine ihr gemäße Rolle bietet, die sie auf der Bühne jedoch nie verkörperte.
In diversen Aufführzungen bzw. Aufnahmen sind Leonie Rysaneks große Wagner-Partien dokumentiert: Senta, Elsa und Sieglinde (leider ohne den oben erwähnten Schrei). Strauss-Ausschnitte umfassen die Marschallin (aus dem von Schüchter 1955 dirigierten „Rosenkavalier“-Querschnitt mit Elisabeth Grümmer und Erika Köth), „Ägyptische Helena“ (Münchner Aufführung 1956 unter Joseph Keilberth, leider mit einem halsig singenden Bernd Aldenhoff als Partner) sowie Chrysothemis in „Elektra“. Die Kölner Rundfunkaufnahme 1953 unter Richard Kraus (neben Astrid Varnay) war der Rahmen ihres Rollendebüts, mit Christel Goltz ist sie 1955 in einem Mitschnitt aus dem Münchner Prinzregenten-Theater unter Karl Böhm zu hören. Eine andere Strauss’sche Leib- und Magenpartie wurde für Leonie Rysanek die Kaiserin in „Frau ohne Schatten“. Die zart-gläsern intonierte Introduktionsszene („Ist mein Liebester dahin?) ist der erste Höhepunkt in der (wiederum von Böhm geleiteten) Wiener Staatsopern-Aufführung zur Wiedereröffnung des Hauses 1955, nachträglich im Studio konserviert. An weiteren Partien Leonie Rysaneks sollten Beethovens „Fidelio“-Leonore (1957 flammend verkörpert unter Ferenc Fricsay), Verdis Aida, Giacomo Puccinis Tosca nicht unerwähnt bleiben. Großartig auch die Rezia in Carl Maria von Webers „Oberon“, aufgenommen 1953 beim WDR unter Keilberth. Mit dieser Partie rettete die Künstlerin übrigens 1957 einige hundert Meter weiter die Eröffnungspremiere im neu erstandenen Opernhaus.
Cesare Siepi. The greatest Don Giovanni
Die Aufführung von Verdis „Requiem“ durch Karajan in Salzburg 1958 führte Leonie Rysanek und Christa Ludwig zusammen, aber auch Cesare Siepi, welchem das letzte Kapitel dieses Berichts gewidmet ist. Von der klangvollen, maskulinen Stimme des 1923 geborenen (und 2010 verstorbenen) Mailänders wird man förmlich umgehauen. Der Sänger, welcher über ein sicheres tiefes C (Giacomo Meyerbeers „Huguenots“) ebenso verfügte wie über ein unangestrengtes hohes G (Jacques Fromental Halévys „Juive“), war ein „Testeronbomber der chevaleresken Art“, so der „Spiegel“ 2009. Kein Wunder, dass der gut aussehende und auch überaus spielfreudige Sänger besonders mit dem Titelhelden in Mozarts „Don Giovanni“ identifiziert wurde. Ob er tatsächlich „The Greatest“ in dieser Partie war, wie auf der Documents-Kassette etikettiert, ist natürlich nicht zuletzt eine Frage des Geschmacks. Immerhin wirft Ezio Pinza lange Schatten in dieser Partie, und es gibt auch einen George London. Spitze in dieser Rolle war Siepi jedoch allemal. Und es nötigt beispielsweise auch hohen Respekt ab, wie er bei Wilhelm Furtwängler in Salzburg 1954 seine Partie nicht einfach „abzieht“, sondern sich den zwar sehr dramatisch akzentuierten, aber nicht eben drängenden Tempi des Dirigenten anpasst. Der selbst gesetzte hohe Standard gelingt Siepi bereits in einem Recital von 1948 (italienischer Rundfunk, Dirigent: Alfred Simonetto). Da war der Sänger gerade mal 25 Jahre alt. Ein anderes bedeutendes Porträt, Filippo II in Verdis „Don Carlo“, datiert sogar schon von vorangegangenen Jahr (Dirigent: Arturo Basile). In der Karajan-Produktion in Salzburg 1958 kann man übrigens besonders gut studieren, wie eine tief schürfende Interpretation von „Ella giammai m’àmo“ auch im Rahmen klassischer Belcanto-Regeln zu leisten ist, ohne veristische Drücker und Übertreibungen. Die Lust hierzu überkommt den Künstler freilich bei Charles Gounods „Faust“ In allen drei dokumentierten Met-Aufführungen (1951 mit Eugene Conley unter Fausto Cleva, 1955 mit Victoria de los Angeles und Jan Peerce unter Pierre Monteux, 1959 mit Elisabeth Söderström und Jussi Björling unter Jean Morel). Hier treibt er, wie auch 1948 im Recital unter Simonetto, das Ständchen „Vous qui faites l’endormie“ mit dem vom Publikum sehnlichst erwarteten Gelächter auf eine diabolische Spitze. Bei der Rollen-Variante von Arrigo Boito gibt er sich zurückhaltender. Allerdings wäre zu überprüfen, ob dies wirklich für die komplette Einspielung der Oper unter Tullio Serafin (1958) gilt. Dass Siepi als Sänger große Gesten liebte, zeigt sich u.a.an seinem Figaro in seiner zweiten erfolgreichen Mozart-Partie, dem Figaro. In der Wiener Studioproduktion unter Erich Kleiber (1955) spürt man beim „Se vuol ballare“ die Französische Revolution ante portas.
Das weitläufig und lange beherrschte französische und italienische Fach von Cesare Siepi (noch 1994 gab er an der Wiener Staatsoper den Oroveso in Bellinis „Norma“) beinhaltete auch seltene Partien. Den Lothario in „Mignon“ von Ambroise Thomas beispielsweise gab er 1948 in Mexico City (neben Giulietta Simionato und Giuseppe di Stefano - 4 Ausschnitte) und nochmals 1983 in Florenz. Der Sänger streifte sogar das deutsche Lied und verkörperte 1970 an der Met sogar den Gurnemanz in Wagners „Parsifal“. Davon scheint es ebenso wenig eine Aufnahme zu geben wie von Modest Mussorgskys „Boris Godunow“. Als „Ersatz“ hierfür erlebt man bei Documents aber einen 20minütigen Ausschnitt aus der selten gespielten Oper „Der geizige Ritter“ von Serge Rachmaninow; höchst eindrucksvolle Musik, mit großer Autorität interpretiert. Das Wirken des Sängers im Konzertbereich ist mit Beispielen aus dem schon erwähnten Requiem von Verdi unter Karajan (ein weiterer Ausschnitt unter Arturo Toscanini 1951) und dem von Mozart (Salzburg 1956, Dirigent: Bruno Walter) dokumentiert
Bestellnummern bei Documents:
Christa Ludwig 600151
Leonie Rysanek 600159
Cesare Siepi 600148